SGB II Bedarfsunterdeckung durch Falschberechnung

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Bildung von Durchschnittseinkommen bei abschließendem SGB II Bescheid löst Bedarfsunterdeckung aus
von der Juristin Miriam Hansel bei BRG Rechtsanwälte in Berlin

Durch rechtswidrige Bildung eines Durchschnittseinkommens durch die Jobcenter bei zuvor erlassenen vorläufigem Hartz IV Bewilligungsbescheid wegen schwankendem Einkommen, lässt die Bedarfsgemeinschaft oft unterhalb des ihnen zustehenden Bedarfs leben. Sie erhält schlichtweg durch diese Berechnungsmethode zu wenig Leistungen im Sinne des SGB II. Nachfolgendes gilt für Bescheide, die vor dem 01.08.2016 erlassen wurden:

Wenn eine SGB II Empfängerin, ein SGB II Empfänger oder eine oder mehrere Personen aus der Bedarfsgemeinschaft schwankendes Einkommen beziehen, wird zunächst vom Jobcenter für den zukünftigen Bewilligungsabschnitt ein vorläufiger Bewilligungsbescheid erlassen, in dem durchschnittlich das zu erwartende zukünftige Einkommen im Durchschnitt angerechnet wird. Dies ermöglicht der Behörde, im laufenden Bewilligungszeitraum mit weiteren vorläufigen Bescheiden ändernd zu entscheiden. Sobald sämtliche Verdienstbescheinigungen der Bedarfsgemeinschaft vorliegen, wird seitens des Jobcenters ein Festsetzungsbescheid über diesen Bewilligungsabschnitt erlassen. Dieser ist in der Regel mit einem Erstattungsbescheid wegen zu viel gezahlter Leistungen verbunden.

Bei der Berechnung des Festsetzungs – und Erstattungsbescheides muss nun darauf geachtet werden, ob das Jobcenter aus dem schwankenden monatlichen Einkommen ein Durchschnittseinkommen gebildet hat. Dieses wird gebildet, indem für den Bewilligungszeitraum der monatliche Verdienst addiert und sodann durch die Anzahl der Monate dividiert wird.

Diese Berechnungsmethode ist rechtswidrig, da die Leistungsempfängerinnen dadurch eklatant in einigen Monaten des Bewilligungsabschnittes durch das Jobcenter benachteiligt werden und damit im Endeffekt zu wenig Leistungen erhalten haben.

Dies ergibt sich aus Folgendem:
Die Bildung eines Durchschnittseinkommensist im Sinne des § 2 Abs. 3 ALG II –V alte Fassung (im Folgenden a.F.) nicht zulässig, da es dafür keine Rechtsgrundlage gibt. Denn es ist jeweils auf das konkret zugeflossene und nachgewiesene Einkommen abzustellen, welches mit in die Berechnung aufzunehmen ist. Das Einkommen ist gem. § 11 Abs. 2 SGB II im jeweiligen Monat des Zuflusses zu berücksichtigen. Das ergibt sich aus § 11 Abs. 2 und 3, § 11 b Abs. 2, § 20 Abs. 1 Satz 3 und § 41 Abs. 1 SGB II.

Mehrere Kammern des SG Berlin (so auch Urteil vom 28.10.2015 AZ: S 205 AS 19970/13und Urteil vom 24. Juni 2016 AZ: S 154 AS 3033/15) haben sich mittlerweile dieser Meinung angeschlossen.

Darin wird zusammenfasend ausgeführt, dass nur ein Durchschnittseinkommen bei der abschließenden Entscheidung gebildet werden darf, wenn das tatsächliche monatliche Durchschnittseinkommen, das bei der vorläufigen Entscheidung zu Grunde gelegte monatliche Durchschnittseinkommen um nicht mehr als 20,00 € übersteigt (§ 2 Absatz 3 Satz 3 ALG IIV a.F.).

Gem. § 2 ALG II V a.F. kann daher vorerst nur ein Durchschnittseinkommen gebildet werden, wenn zukünftig in der Höhe schwankendes Einkommen erwartet wird. Steht dieses Einkommen nun nach Ablauf des Bewilligungsabschnittes durch den Zufluss im jeweiligen Monat fest und liegt kein Ausnahmefalls des § 2 Absatz 3 Satz 3 ALG IIV a.F. vor, so muss das Jobcenter, für jeden Monat das erzielte Einkommen anhand des zugeflossenen Betrages ermitteln und anhand dessen für jeden Monat gesondert die zu bewilligenden Leistungen berechnen.

Wurde das Zuflussprinzip bei der abschließenden Berechnung der jeweils zustehenden Leistungen nicht angewendet, so kann eine eklatante Bedarfsunterdeckung vorliegen. Das bedeutet, dass die Leistungsempfängerinnen für einige Monate zu wenig an Leistungen erhalten haben.

Fazit:
Die korrekte Anwendung des Zuflussprinzips bei der abschließenden Berechnung des tatsächlich zugeflossenen Einkommens bei schwankendem Einkommen ist leider noch keine durchgehend gefestigte Rechtsprechung. Die verschiedenen Kammern der Sozialgerichte tendieren mehr und mehr zu der vorbenannten Vorgehensweise. Auch stehen diverse bekannte Verfahren noch zur Entscheidung beim LSG Berlin Brandenburg aus.

Im Ergebnis bedeutet dies für alle Leistungsempfängerinnen, dass alle Personen deren Festsetzungs- und Erstattungsbescheid vor dem 01.08.2016 erlassen wurde und die noch kein Jahr alt sind, mit dem Überprüfungsantrag § 44 SGB X angegriffen werden sollten.

Für Monate, in denen nun das Durchschnittseinkommen aus dem Festsetzungs- und Erstattungsbescheid das tatsächlich erzielte Einkommen übersteigt, gilt zweierlei. Es kann entwedereine Erstattungsforderung gegenüber dem Jobcenter auslösen, weil der tatsächlich erzielte Betrag noch niedriger als der zuvor vorläufig bewilligte war oder aber es kann die Erstattungsforderung aus dem Erstattungs- und Festsetzungsbescheid reduzieren. Für Monate, in denen das tatsächlich erzielte Einkommen nun den Durchschnittsbetrag aus dem Festsetzungs- und Erstattungsbeschied übersteigt, kommt begünstigend für die Leistungsempfängerinnen das Verböserungsverbot zum Zuge. Das bedeutet, dass der alte berechnete Erstattungsbetrag bestehen bleibt. Die Erstattungsforderung erhöht sich demnach nicht.

Rechenbeispiel (vereinfachte Darstellung ohne Berechnung Freibeträge) anhand einer 1 Personen Bedarfsgemeinschaft mit Gesamtbedarf in Höhe von 810,00 EUR:

Vorläufiger Bescheid (gebildetes Durchschnittseinkommen des zu erwarteten Einkommens):

Fehlerhafte Berechnung der Jobcenter, Bildung eines Durchschnittseinkommens (Einkommen Monate Januar bis Juni addieren, dann durch 6 teilen (2.900,00 EUR:6= 483,33 EUR)

Korrekte Berechnung:

Das Beispiel zeigt, dass sich die vormals festgesetzten Erstattungsbeträge nicht wegen des Verböserungsverbotes erhöhen können, obwohl, in den Monaten Januar, Februar, April und Juni höhere Erstattungsbeträge an das Jobcenter errechnet werden. Für die Monate März und Mai entfällt die Erstattung komplett. Dort steht der Bedarfsgemeinschaft nun sogar ein höherer Leistungsanspruch zu, so dass eine Nachzahlung wegen zu wenig bewilligter und entrichteter Leistungen zu erfolgen hat. Im Beispiel würde sich die Nachzahlung für März auf einen Betrag in Höhe von 50,00 EUR und für Mai auf einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 150,00 EUR belaufen.

Eine Überprüfung der Bescheide sollte daher in jedem Fall erfolgen, damit abschließend jede Person die korrekten ihr zustehenden Leistungen im Sinne des SGB II erhält und nicht, trotz Erzielung eines schwankenden Einkommens unter Bedarf leben muss. Zudem kann eine Überprüfung bestehender Erstattungsforderungen diese zu Gunsten der Leistungsbezieherinnen reduzieren.

Bild: A.R./fotolia

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