Selbständig und Hartz IV gleich Krimineller Betrug

Lesedauer 8 Minuten

Selbständig und Hartz-IV gleich Krimineller Betrug?
von Alexander C.

DER "TYPISCHE HARTZ-IV-EMPFÄNGER"
Dies ist die Geschichte eines 46-jährigen, der an das geglaubt hat, was seine Eltern erzählten und mit aufgebaut haben: Die Demokratie in Deutschland. Bevor ich 2004 krank wurde, war ich über 20 Jahre erfolgreich selbständig bzw. freiberuflich tätig.

Ich vertrat – wie zahlreiche andere Bundesbürger auch – die arrogante Auffassung, dass viele, die langzeitarbeitslos oder Sozialhilfeempfänger sind, es selber schuld seien bzw. auf Kosten des Staates leben – bis auf wenige Ausnahmen wie beispielsweise allein erziehende Mütter. Beispiele dafür finde ich auch heute noch in Leipzig.

Ich war naiv und glaubte seinerzeit, mich würde es nie betreffen, weil ich intelligent, gebildet und erfolgreich sei. Selbst die Schufa stufte mich mit einem Bonitätsindex von fast 99% als finanziell sehr sicher ein. Ich war auch nicht übergewichtig, saß nicht den ganzen Tag Bier trinkend vor dem Fernseher – so wie man sich den klassischen Sozialhilfeempfänger in der Bevölkerung vorstellt. Ich war sehr aktiv, sieben Tage jede Woche. Und hatte keine Vorstellung, was es heißt, "bedürftig" zu werden, wie die
Behörden es nennen.

Was mir nicht klar und bewusst war, dass ich bereits länger krank war. Ich konnte es gut verdrängen und wollte nicht vom Staat abhängig sein. Mitte 2005 war ich so ausgebrannt und finanziell abgebrannt, dass ich an einem Freitag Ende Juli nicht mal mehr Geld für Essen am Wochenende hatte und voller Angst und Scham zur ARGE Leipzig ging. Im Anschluss schrieb mich mein Hausarzt über Monate krank, ich bezog daher Krankengeld, hatte aber gleichzeitig Hartz-IV beantragt.

Ende 2005 ging ich freiwillig in Kur bzw. nahm an einer Reha-Maßnahme teil, die vor der Gesundheitsreform noch 3-6 Monate gedauert hätte, mir wurden 7 Wochen genehmigt. Da die Reha-Klinik es zur Bedingung machte, Wanderschuhe mitzubringen und ich kein Geld hatte, schämte ich mich und bat die ARGE um ein Darlehen von 50 Euro. Es wurde abgelehnt. Begründung: Ist aus dem ALG II Regelsatz zu zahlen. Bedeutet, um es mal zu verdeutlichen: Fünf Tage lang kein Essen.

Zuvor hatte ich bereits einen Krankenhausaufenthalt ablehnen müssen, da die ARGE mir sonst das Geld fast gänzlich gestrichen hätte, da ich „im Krankenhaus ja eine Verpflegung bekäme, die als Einnahme anzurechnen sei.“. Da ich aber durch die Situation nicht mehr vollständig zahlungsfähig und nach horrenden Jahresabrechnungen eine Ratenzahlungsverpflichung mit den Stadtwerken hatte, konnte ich den Aufenthalt nicht antreten, da es meinen finanziellen und gesundheitlichen Ruin bedeutet hätte: Die Stadtwerke wollten Strom und Wärmeversorgung abdrehen.

DAS ERSTE MAL IM LEBEN GEHUNGERT
Nach meiner Rückkehr am 4. Januar 2006 stand ich ohne Geld da, obwohl Hartz-IV beantragt war. Ich suchte die ARGE auf, dort hieß es "Wir finden Ihre Akte nicht, sie ist in der Widerspruchsstelle. Wir können Ihren Fall daher nicht bearbeiten". Nun stand ich 14 Tage ohne Geld da und musste das erste Mal in meinem Leben hungern.

Ich wurde wieder krank. Mit meiner Stoffwechselerkrankung ist eine entsprechende Ernährung für mich etwas sehr Wichtiges und Besonderes geworden. Die notwendigen Maßnahmen zur Genesung zahlt die Krankenkasse nur, wenn ich das Geld (ca. 150-200 Euro) vorlege und nach Abschluss der Maßnahme eine Bescheinigung vorlege. Da ich das Geld nicht vorlegen konnte, bat ich die Krankenkasse um Rat. Die verwies mich an die ARGE. Die ARGE lehnte meinen Darlehenswunsch erneut ab. Daraufhin verbrachte ich fast ein Jahr damit, mir private Hilfe zu suchen, bei Ärzten, die teilweise auf ihr Honorar verzichteten oder bei privaten Bürgerinitiativen. Der Staat hatte in meinem Falle versagt.

Im gesamten Jahr 2006 war ich mehrere dutzend Male freiwillig und auf meine Initiative bei der ARGE, um mit meiner sehr engagierten Fallmanagerin zu prüfen, welche Lösungen für einen intelligenten Selbständigen (ohne HSA oder sonstige Abschlüsse) in Frage kommen. Parallel bewarb ich mich – aber ohne Erfolg. Kein Wunder, ich war mittlerweile 44 Jahre – und das gilt in Deutschland als zu alt fürs
Arbeitsleben. Wir prüften daher jede andere Möglichkeit, ob Umschulung oder Fördermaßnahmen. Mittlerweile waren auch meine alten Kunden weg bzw. bei meinen Mitbewerbern.

… BLIEB NUR DIE SELSTÄNDIGKEIT
Ende 2006 fiel dann endgültig die Entscheidung, wieder in die Selbständigkeit zu gehen, trotz Krankheitsrisiko – aber es gab keine andere Möglichkeit. Ich gelte bei der ARGE als unvermittelbar bzw. als ungelernte Arbeitskraft. Alle staatlichen Existenzgründermaßnahmen waren inzwischen weggefallen, also verblieb nur das so genannte Einstiegsfeld als Wiedereingliederungsmaßnahme, was in Leipzig nur sechs Monate gewährt wird (in anderen Fällen sogar bis zu 24 Monaten). Mir wurde also zum ersten Januar 2007 das Einstiegsgeld zunächst für sechs Monate gewährt, heißt: Mit 175 Euro zusätzlich monatlich eine Selbständigkeit aufbauen – und das möglichst binnen weniger Monate. Viele Selbständige mögen jetzt lachen oder den Kopf schütteln. Aber dies ist tatsächlich von der ARGE bzw. BA so angedacht.

Ab ersten Januar 2007 erhielt ich den Status, so die Fallmanagerin, "Selbständiger mit staatlicher Unterstützung" (wie ich später erfuhr, ein so genannter "Aufstocker"). Ich solle einmal jährlich meine Steuererklärung vorlegen bzw. wenn ich zwei Monate hintereinander mehr als den Hartz-IV-Satz verdienen würde, dieses anzeigen und mich damit abmelden. Ich erhielt weder schriftliche noch sonstige Unterlagen. Auf den Webseiten der ARGE und der BA fand sich kein einziger Hinweis, was Selbständige zu beachten haben.

Und dann war da noch die viel zu große Wohnung, 100qm, 600 Euro warm, wahnsinnige Energiekosten, die Mietschulden wuchsen, da die ARGE später nur die ortsüblichen 271 Euro übernahm. Die Fallmanagerin kannte meinen Krankheitsverlauf sehr genau und riet mir bei der Suche nach einer neuen Wohnung ("Zwangsumzug"), mindestens zwei Zimmer zu nehmen, um aus einem ein Arbeitszimmer zu machen, da alle anderen Lösungen mich wieder krank machen würden bzw. auch gefährlich sein
könnten (u.a. wg. Depressionen). Sie klärte mich auch darüber auf, dass ich in diesem Falle die Kosten für den Umzug selber zu tragen hätte, was ich dann auch mit Hilfe von guten Freunden machte. Ich zog im Jni 2007 in die neue Wohnung, die Fallmanagerin war informiert, sicherheitshalber informierte ich noch die ARGE allgemein über die neue Adresse und den Umzug.

ABSTIEG DURCH TEAMWECHSEL
Soweit, so gut. Neue Hoffnung, neuer Mut. Bisher verlief auch alles recht friedlich, ich meckerte nicht, hielt mich mit Widersprüchen zurück. Die eigentliche Katastrophe begann mit dem Umzug – und einem Wechsel der Sachbearbeiter. "Teamwechsel" nennt sich das bei der ARGE. Im Gegensatz zu anderen Behörden, die nach Nachname organisiert sind, sind die ARGE-Abteilungen in Leipzig nach Stadtteilen aufgeteilt. Die ARGE war über den Umzug informiert und die Tatsache, dass die Miete höher ausfällt und ich sie selber tragen muss. Auch erhielt ich bereits einen Änderungsbescheid an die neue Adresse. Der Umzug gestaltete sich problematischer als geplant. Der Vormieter – Hartz-IV-Empfänger – verzögerte den geplanten Einzug um zwei Male, die Übergabe der Wohnung fand statt, als ich bereits in der Wohnung lebte.

Der Mietvertrag kam viel später, da die Unterschrift des neuen Hausbesitzers fehlte. Am ersten Juli war kaum mehr Geld auf meinem Konto. Die ARGE hatte nichts überwiesen. Auf meine Nachfrage wurde ich von der Sachbearbeiterin im neuen Team begrüßt: "Sie sind hier nicht im Team xyz, sondern im Team abc. Da gelten andere Regeln." Sie hatte – ohne Bescheid, ohne Ankündigung – selber und eigenmächtig das gesamte Geld gesperrt. Ich musste warten – und das zweite Mal hungern, teilweise dieses Mal bei Freunden betteln gehen. Immer noch blieb ich ruhig und sachlich. Aus heutiger Sicht ein Fehler. Denn die Schikanen begannen nun erst richtig.

AUSSERHALB DES RECHSTAATES?
Die betreffende Sachbearbeiterin, die mir mein rechtlich zustehendes Geld mit der Begründung sperrte, der Mietvertrag sei nicht rechtzeitig eingegangen (obwohl sie nicht nur die Kosten der Unterkunft, sondern gleich auch den Regelsatz sperrte), begann mit einer Reihe völlig abstruser Forderungen, die im Grunde nur ein Laie begehen kann.

Zunächst wurde ich aufgefordert, eine Nebenkostenabrechnung für das letzte Jahr bis Ende Juli einzureichen, obwohl jedes Kind weiß, dass ein Vermieter diese bis Ende 2007 machen kann bzw. sie in der Regel im Herbst des Jahres vorgelegt werden. Sie drohte mir erneut mit Sperrung aller Gelder.

Inzwischen war meine im ersten Halbjahr erfolgreich angelaufene Selbständigkeit (neue Kontakte, neue Interessenten, mit größeren Aufträgen in den Firmenbudgets für 2008 vorgesehen) fast dahin. Der Satz "Mich macht die ARGE krank" hörten dann nicht mehr nur Freunde – sondern auch Ärzte. Ein Arzt bestätigte mir dies, da er mehrere Patienten hatte, die durch den Umgang mit der ARGE krank geworden waren (keine Simulanten, normale Bürger).

Im September wurde mir erneut die Sperrung sämtlicher Gelder angedroht, da in den von mir vorgelegten Kopien des Gasversorgungsvertrages mit den Stadtwerken eine letzte Seite fehlte (wobei die ARGE nicht mal die Gaskosten trägt). Mir wurde im ersten Team versichert, dass es kein Problem sei, die Begleichung der Energiekosten für Heizung (nicht Strom!) durch die ARGE vornehmen zu lassen bzw. es immer die Möglichkeit eines Darlehens gebe. Inzwischen sind drei Jahresabrechungen der Stadtwerke gekommen, auf denen ich selber sitzen geblieben bin.

Meine Planung, bis Ende September 2007 nicht von ALG-II abhängig zu sein, waren dahin, mein Körper wieder mal auf 54 KG abgemagert. Ende September musste ich erneut ALG-II in Folge beantragen und legte eine vorläufige Gewinnermittlung bei, aus der eindeutig eine Bedürftigkeit hervorging: ich hatte trotz aller Professionalität minus gemacht, war fast nur noch krank, konnte nicht mal mehr den Briefkasten öffnen, weil ich Angst bekam. Angst vor Hunger und mehr …
Ich hörte von Bekannten, die Hartz-IV bezogen und sich wieder selbständig machten, dass ihnen wahlfrei Ausgaben abgezogen werden, und sie so in eine Schuldenfalle gerieten. Die ARGE rechnete aufs Jahr hoch und überzog die frischen Selbständigen mit horrenden Nachforderungen, obwohl sie bereits längst wieder bedürftig waren. Eine Fallmanagerin begründete dies einem Bekannten so: "Selbständige machen zu viel Arbeit. Uns ist es lieber, wenn Sie reiner Hartz-IV-Empfänger bleiben." So meldeten inzwischen drei Bekannte ihre Selbständigkeit ab. Begründung: "Rechtsunsicherheit! Es gibt einfach keine rechtliche Sicherheit mehr."

Richard von Weizäcker hat einmal sinngemäß gesagt: "In einem demokratischen Rechtsstaat kann man nur in Freiheit leben, wenn die notwendige Sicherheit da ist." Damit meinte er vor allem Rechtssicherheit, nicht finanzielle Sicherheit.

Von Anfang 2008 bis April war ich erneut krank, hatte resigniert und bekam immer mehr nackte Existenzangst, was ich zuvor niemals hatte. Erst im Februar ging ich schweren Herzens zum Arzt, der mich daraufhin mehr als zwei Monate krank schrieb.

Ich übersandte der ARGE meine Krankmeldungen mit der Bitte um einen ersten Termin bei der neuen Fallmanagerin (= Arbeitsvermittlerin). In dieser Zeit verlangte die Sachbearbeiterin der Leistungsabteilung – trotz Erkrankung – bis 30 April eine
Gewerbeabmeldung, einen Einkommenssteuerbescheid für 2007 (!) und einen Nachweis meiner Einnahmen vom ersten Januar bis 31 März und bis Ende April. Hinweis: Die Abgabefrist der Einkommenssteuererklärung 2007 ist in Deutschland der 31. Mai!

Nun spürte ich deutlich, dass hier etwas nicht stimmt. Erstens hatte ich nie ein Gewerbe als Freiberufler angemeldet, was der ARGE bekannt sein sollte, zweitens war ich krank und drittens forderte die ARGE meine Einkünfte und Ausgaben auf einem gesonderten Formblatt zu machen, in dem viele Ausgabeposten, die vom Finanzamt anerkannt sind, fehlten. Die entsprechende Rechtsbelehrung fehlte bzw. es wurde auf die Mitwirkungspflicht des SGB-II hingewiesen. Mehr nicht.

Beim ersten Termin mit der Fallmanagerin im Mai erfuhr ich erstmals, was nicht stimmte, da die Fallmanagerin verdutzt reagiert als ich ihr mitteilte, ich würde ALG-II beziehen. "Wieso beziehen Sie ALG-II? Sie sind hier (Anm.: in der Software-Datenbank) als Selbständiger eingetragen." Mein Krankheitsverlauf fehlte, vor allem die Zeit der Reha-Maßnahme. Es wusste also kein Sachbearbeiter, wer ich war, warum usw. Die riesige Papierakte war verschwunden, ein kleiner Rest mit einem Computerprogramm gespeichert – und die Hälfte vergessen (z.b. auch meine ganzen Bemühungen).

RENTE STATT ARBEIT?
Ich wollte mit der Sachbearbeiterin die Situation klären, u.a. über eine Rente mit ihr sprechen. Abstrus, aber wahr: Eine Sozialarbeiterin der Stadt hatte mir empfohlen, die Frührente einzureichen, um dem "Theater mit der ARGE zu entgehen." Sie (die
Fallmanagerin) machte mir Mut, es sei doch zu früh für die Rente. Außerdem würde man mir ja auch nichts anmerken und sie sah mich zweifelnd an.

Da ich auch auf dieses Gespräch vorbereitet war, wollte ich wissen, wie ich an der neuen Job-Initiative der Stadt Leipzig, genannt "Kommunal-Kombi", teilnehmen könne. Immerhin sollten 1400 neue Stellen für Langzeitarbeitslose entstehen. Die Sachbearbeiterin wusste davon nichts, was ich selber aus der Zeitung erfahren hatte. Also, beschlossen wir kurzfristig einen zweiten Termin. Ich erhielt erstmals nach 2,5 Jahren eine Visistenkarte mit einer Durchwahl und einer E-Mailadresse, bekam wieder neuen Mut.

Ungeduldig, wie ich bin, recherchierte ich selbst und wurde bei der Stadt, dem Amt für Wirtschaftsförderung vorstellig, das für "Kommunal-Kombi" zuständig war. Erst dort erfuhr ich auch erstmals den Unterschied zwischen ABM und "Kommunal-Kombi".
Trete ich eine ABM-Stelle an, werde ich nach beruflicher Qualifikation bezahlt, also mit dem niedrigsten Arbeiterlohn bei 25 Jahren Berufserfahrung in einem der modernsten Dienstleistungsbereiche, die es gibt. Mitarbeiter im Kommunal-Kombi-Projekt erhalten
Entlohnung für ihre tatsächliche Leistung, nicht nach ihrem Berufsabschluss. Die Mitarbeiterin der Stadt, die meine Qualifikationen bzw. Referenzen hörte, lehnte ab: "Das ist nichts für Sie, aber vielleicht könnten Sie das ganze Projekt managen."

Mit den Informationen ausgestattet ging ich erneut zu meiner Fallmanagerin, obwohl ich kaum mehr Geld zum Essen hatte, geschweige denn für Fahrkarten (die mir auch niemals erstattet wurden). Die Fallmanagerin teilte mir mit, dass Sie mich für
Kommunal-Kombi nicht vorsehen könne, weil ich ja – nach elektronischer Akte – selbständig sei und dafür erst 24 Monate dauerhaft arbeitslos werden müsse. Ich

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