Hartz IV: Sind ALG II Empfänger nun arm?

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Hartz IV – sind ALG II Empfänger nun arm, oder nicht? Oder was?

Der Präsident des ifo-Institutes, Hans-Werner Sinn, erklärte in seiner Stellungnahme zum Armuts- und Reichtumsbericht, dass es in Deutschland heutzutage nicht mehr Armut gibt, als es schon immer gab – und alles nur auf einem Berechnungsfehler sturer Statisten beruht.

Dabei stützt er sich auf Angaben wie diese: "Der Sozialstaat gewährt einem vom ALG II lebenden Paar, das sich trennt, nämlich nur eine Erhöhung des Regelsatzes um elf Prozent statt des Drittels, das von der Bedarfsgewichtung verlangt wird."

Von einem Ökonom, der hauptberuflich die Bundesregierung berät und dessen Institut zu 2/3 aus Steuermitteln finanziert wird, sollte man erwarten können, das er rechnen kann. Der ALG II Regelsatz von Partnern beträgt je 90%, wenn sich also ein Paar trennt, erhalten beide jeweils 10% mehr Regelsatz, insgesamt also 20% Mehrkosten – und nicht 11%, wie hier irreführend verbreitet wird. Hinzu kommen die deutlich höheren Kosten für die Unterkunft, denn bei einer Person sind 45m2; üblich, bei zwei Personen nur 60m2;. D.h. die Gesamtunterkunftskosten erhöhen sich von 60m2; auf 2x 45m2; = 90m2;, also um ein Drittel. Unterstellt man eine Kaltmiete von 5 Euro/m2; und 2 Euro/m2; für Neben- und Heizkosten, ergibt sich folgendes Bild: 2 Partner = 2x 312 Euro Regelsatz = 624 Euro + (60m2; x 5/m2; =) 300 Euro Unterkunftskosten + (60m2; x 2/m2; für Neben- und Heizkosten) 120 Neben- und Heizkosten = 1044 Euro

Einzelperson = 347 Euro Regelsatz + (45m2; x 5€/m2; =) 225 Euro Unterkunftskosten + (45m2; x 2 Euro/m2; für Neben- und Heizkosten =) 90 Euro Neben- und Heizkosten = 662 Euro und bei 2 Einzelpersonen also 2x 662 Euro = 1324Euro. Damit erhöhen sich für den Staat nach einer Trennung von zwei vorher als Bedarfsgemeinschaft geführten ALG II Empfängern die Regelsatzkosten um 20%, die Unterkunftskosten um 30% und damit die Gesamtkosten (ALG II) um 26,82 Prozent.

Und etwas später nimmt diese Stellungnahme sogar den Charakter einer deutlichen Verunglimpfung von ALG II Beziehern an, indem Herr Sinn unterstellt, dass sich etliche ALG II Paare nur wegen dem dann höheren Regelsatz trennen würden: "Die staatliche Unterstützung nimmt also den Charakter einer Trennungsprämie an … Die Folge: Im ersten Jahr des ALG II stieg die Zahl der Einpersonenhaushalte um ein Prozent, im zweiten sogar um fünf Prozent."

ALG II Beziehern fehlt also jede Form von Ehre und Gewissen? Sie verlassen Frau und Kinder wegen ein paar Euro?
Das könnte man glauben, wenn Herr Sinn belegen könnte, dass es sich dabei tatsächlich um ALG II Haushalte handelt und gleichzeitig die Zahl der ALG II Haushalte mit Paaren genau so abgenommen hätte. Diesen fehlenden Beweis erbringt er aber nicht.
Hier wird also nur mit leeren Zahlen ohne jeden Beweis jongliert um wieder mal Stimmung gegen Arme und Arbeitslose zu machen und die Realität schönzureden.

Es ist nicht abzustreiten, dass die hohe Einkommens- und Vermögensanrechnung beim ALG II eine Beziehungsbremse allerersten Ranges ist. Wer möchte schon gern wegen einem neuen Partner plötzlich ALG II Bezieher werden, sein jahrelang auch zur Altersvorsorge angespartes Vermögen verbrauchen müssen, weil es über den mehr als mickrigen Freibeträgen liegt? Sein Eigenheim verkaufen und vom Erlös leben müssen, weil es dem Amt unangemessen zu groß ist? Und den ARGEn auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein? Arme sollen unter sich bleiben und nicht mit Vermögenden oder Verdienenden zusammenziehen, verpartnern oder gar heiraten. Hier werden Beziehungen gleich von Anfang an vermieden und nicht nachträglich aufgegeben. Und nicht jeder ALG II Empfänger ist ehr-, charakter- und gewissenlos – nicht mal viele, vielleicht einige wenige. Man sollte nicht vergessen, das ALG II jeden treffen kann und auch schon getroffen hat: Arbeiter und Kranke, Rechtsanwälte, Professoren, Ingenieure, Ärzte, Schauspieler usw. und nicht nur diejenigen, die allgemein mit Sozialhilfe in Zusammenhang gebracht werden. Letztere machen nur einen geringen Prozentsatz der ALG II Empfänger aus. (10.06.2008)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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