Hartz IV: Rechtswidrige Kontenklärung in Wuppertal

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„Sie können sicher sein, wir handeln strikt nach der Rechtslage.“ (O-Ton Jobcenter Wuppertal)

06.09.2012

(Tacheles) Die Stadtkasse Wuppertal hat an über 10.000 Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) Zahlungsaufforderungen verschickt. Tacheles e.V. wirft den Verantwortlichen, dem Jobcenter Wuppertal und der Stadtkasse Wuppertal, Taktlosigkeit und offenen Rechtsbruch vor und fordert die Stadt auf, endlich zurück zu rudern und sich bei den Betroffenen zu entschuldigen. Den Empfängern der Forderungsschreiben wird geraten, schriftlich Einspruch zu erheben.

Nachdem der Erwerbslosenverein Tacheles den Vorgang letzte Woche öffentlich gemacht hat, ist nun deutlicher geworden, was tatsächlich geschehen ist. Die städtischen Zahlungsaufforderungen gingen an über 10.000 ehemalige und aktuelle Hartz IV-Leistungsbeziehende. Mittlerweile wird diese Aktion offiziell als „Kontenklärung“ deklariert. Das würde heißen, die Stadt will prüfen, ob und in welcher Höhe die Forderungen tatsächlich bestehen. Tatsächlich stand auf den Schreiben nichts von „Kontenklärung“, sondern die Empfänger wurden darin zur Zahlung der Forderungssumme binnen einer Woche aufgefordert.

Außerdem hat das Jobcenter zugegeben, dass „die Qualität der von der Bundesagentur für Arbeit übermittelten Daten teilweise unzureichend ist“. „Das bedeutet, Jobcenter und Stadtkasse wussten vor Versendung der Schreiben von der mangelhaften Datenlage“, erklärt Harald Thomé von Tacheles. Bei einer so zweifelhaften Datengrundlage sei ein Forderungsschreiben mit extrem kurzer Zahlungsfrist völlig unangebracht und taktlos gegenüber den Bürgern. „Wenn das Ziel der Schreiben tatsächlich die Klärung der Konten war, ist ein respektabler und ehrlicher Umgang mit den mutmaß-lichen Schuldnern angezeigt, nicht aber ein solch unverfrorenes Schreiben, welches Betroffene einschüchtert und Existenzängste schürt“, so Thomé weiter.

Es bestehen aber auch erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der versandten Forderungen. So wird beispielsweise von der Stadtverwaltung mitgeteilt, dass es sich bei den Forderungen um „Erstausstattung für die Wohnung“ und „Umzugskosten“ handle. Beide Leistungen sind grundsätzlich nur auf der Basis einer (nicht rückzahlbaren) Beihilfe durch das Jobcenter zu erbringen. Für eine Rückforderung gibt es keine Rechtsgrundlage. Zudem gehören „Mietkaution“ und „Mietschulden“ zu den geltend gemachten Forderungen. „Ein generalisierter Einzug solcher Forderungen über die Stadtkasse ist rechtswidrig“ erklärt Thomé. „Ebenso sind uns Fälle bekannt geworden, in denen gegen entsprechende Forderungsbescheide Widerspruch und Klage erhoben wurde“, erläutert Thomé weiter. Beides würde jedoch aufschiebende Wirkung entfalten. Die Behörde müsse demzufolge solche Forderungen ruhend stellen. (Zur rechtlichen Würdigung des Sachverhalts verweisen wir auf das Dosier, das unten verlinkt ist bzw. der Pressemitteilung anhängt wurde).

„Wenn der Pressesprecher des Jobcenter Dr. Kletzander nun versichert, man handele strikt nach Rechtslage, sind sich die Verantwortlichen offensichtlich der rechtlichen Tragweite ihres Handelns und der unsensiblen Forderungspraxis nicht bewusst oder sie versuchen Fehler zu verschleiern“, beurteilt Thomé die Reaktion der Verwaltung. „Stattdessen wäre eine aufrichtige Entschuldigung fällig.“ Das städtische Mahnschreiben ist nämlich keine „Kontenklärung“, sondern es setzt die Schuldner nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz in Verzug. Infolgedessen können Mahngebühren und Zinsen erhoben werden. Das gilt solange, bis die Betroffenen ein neues Schreiben von der Stadtkasse erhalten, das den Forderungscharakter aufhebt und die Zielsetzung korrigiert.

Der Verein Tacheles rät den Betroffenen, zur Klärung des Sachverhalts Einspruch gegen die Forderung einzulegen (Mustertext). Er weist ferner darauf hin, dass etwaig mit der Stadtkasse getroffene Ratenzahlungsvereinbarungen herabgesetzt oder sogar zurückgenommen werden können. Wer hierzu noch Fragen hat, kann sich im Rahmen der offenen Sozialberatung des Vereins Tacheles aufklären lassen.

Anmerkungen dazu:
1. Wer selber mit Betroffenen zu tun hat, möge bitte diesen den Mustereinspruch zur Verfügung stellen. Auch wenn schon mit der Stadtkasse Vereinbarungen getroffen wurden, stellt dies kein „Anerkenntnis“ der Forderung da. Öffentlich-rechtliche Forderungen aus sozialrechtlicher Herkunft sind anders als im Zivilrecht, jederzeit angreifbar, selbst dann wenn diese ganz oder teilweise schon bezahlt wurden. Bestehen Unklarheiten hinsichtlich der Forderung, sollte der Einspruch eingelegt werden und die Leute sollten unsere Beratung aufsuchen. Beratungsmodalitäten gibt es hier.

2. Wer sich tiefer mit den rechtlichen Fragestellungen und unseren Vorwürfen hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der behördlichen Vorgehensweisen auseinandersetzen möchte, soll sich das Dosier schnappen, dort wurde haarklein auseinandergenommen welche einzelnen Punkte rechtlich fragwürdig sind bzw. rechtswidrig sind, zum Dosier geht’s hier. (pm)

Lesen Sie dazu:
Hartz IV: Rechtswidrige Zahlungsaufforderung
Dokumentiert – eine Zahlungsaufforderung der Stadtverwaltung
Mustereinspruch
Dosier–Rechtlicher Hintergrund der Zahlungsaufforderungen

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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