Hartz IV-Klageflut: Dauerbrenner Heizkosten

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Hartz IV-Klageflut: Dauerbrenner Heizkosten: Ablehnung nicht hinnehmen: Sozialgerichte helfen empfiehlt Hartz-4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin

18.02.2012

Alle Jahre wieder heißt es in den Jobcentern gegenüber Hartz IV-Kunden: „Wir zahlen die Jahresabschlussrechnung für Miet -Nebenkosten und Heizkosten nicht“. So auch jüngst im niedersächsischen Diepholz, wo ein Betrof fener erst nach Einschaltung des Sozialgerichts sein Recht auf warme Wohnung erlangte – und zwar nach Rücknahme eines Ablehungsbescheids, mit zweimonatiger Verzögerung.

Der Streit um die Kosten der Unterkunft gehört zu den häufigsten Klagen bei den Sozialgerichten. Zum wiederholten Male bestätigte jüngst die Berliner Gerichtspräsidentin Schudoma, die Ursachen der Hartz IVKlageflut lägen nicht in der Streitlust der Kläger. Sie würden vielmehr großenteils wegen falscher Verwaltungsentscheidungen notwendig. Dabei nehmen die jährlich wiederkehrenden Jahresabschlussrechnungen für Miet- Neben- und -Heizkosten nach den Erfahrungen der Hartz-4-Plattform einen besonders prominenten Platz ein.

„Bundesweit werden die Jocenter nicht müde, zu jedem Jahresbeginn mit Ablehnungs-Bescheiden gegen ihrer gesetzlichen Zahlungspflichten zu verstoßen und auf diese Weise die kommunalen Bilanzen zu schonen“, kritisiert Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin. Ohne Legitimierung durch das Sozialgesetzbuch und unter Missachtung zahlreicher, höchstrichterlicher Bundessozialgerichts-Urteile, die dies untersagen, wird ausgerechnet bei Menschen in Not gespart. Besonders gerne bezieht man sich dabei auf sogenannte interne Verwaltungsanweisungen – als hätten diese über dem Gesetz stehende Rechtskraft.

Der Fall aus dem niedersächsischen Diepholz steht – nach den Erfahrungen der Hartz4-Plattform – beispielhaft für diese bundesweit verbreitete Amtspraxis und verweigerte Leistungen, die kommunalen Kassen zugute kommen – statt bei denen zu landen, die nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) ein Anrecht darauf haben.

Am 6. Dezember erhält der Diepholzer von seinem Vermieter die Jahres-Verbrauchsrechnung für Heiz- und Nebenkosten und die Aufforderung, den – nach Abzug der monatlichen Abschläge – sofort fälligen Betrag von 421,77 € zu zahlen. Die Abrechnung legt er noch am selben Tag seinem zuständigen Jobcenter vor. Bereits drei Tage später hat er im Briefkasten die Ablehnung für die eigentlich gesetzlich verpflichtende Kostenübernahme. Zur Begründung wird genau das angeführt, was das Bundessozialgericht (BSG) in zahlreichen höchstrichterlichen Urteilen als unrechtmäßig gerügt hat, nämlich die Pauschalierung der Kosten der Unterkunft. Da heißt es: „Sie erhalten bereits den Höchstbetrag (…). Eine weitere Kostenübernahme kann daher nicht mehr erfolgen.“ Statt ihrer Zahlungspflicht nachzukommen, bietet die Hartz IV-Verwaltung dem Betroffenen ein Darlehen an und knüpft dieses obendrein an die Bedingung einer datenschutzrechtlich unzulässigen Vermieterbescheinigung.

Am 12. Dezember wird Widerspruch gegen diesen rechtswidrigen Bescheid eingelegt und der Behörde eine Frist bis zum 13. Januar eingeräumt. Nach fruchtlosem Fristablauf werde die Sache dem Sozialgericht übergeben, kündigt man vorab der Behörde an. Denn unterdessen hat der Vermieter bereits mündlich an die Zahlung erinnert.

Zur Begründung erinnert der Hartz IV-„Kunde“ das Jobcenter im Landkreis Diepholz an
• die wiederholte Rechtsprechung des BSG, das Wohnkosten-Pauschalierung untersagt,
• die Pflicht zur Einzelfall-Betrachtung unter Beachtung der individuellen und regionalen Besonderheiten,
• die Nachweispflicht für Unangemessenheit durch den Leistungsträger,
• die Unzulässigkeit einer Verwaltungsanweisung als Ersatz für geltendes Recht,
• das Fehlen einer rechtswirksamen Satzung, sofern die Verwaltung sich auf die neue Rechtslage seit 1. Januar 2011 berufen will und
• die Unzulässigkeit der Abwälzung der Leistungspflicht auf ein privates Darlehen.

Die Monatsfrist lässt das Jobcenter ohne Reaktion verstreichen. Trotzdem zögert der Betroffene den Weg zum Sozialgericht noch hinaus. Als er jedoch eine schriftliche Mahnung des Vermieters mit Ankündigung von Mahnkosten und Rechtsmitteln erhält, reicht er am 27. Januar Eilklage beim zuständigen Sozialgericht Hannover ein. Erst danach kommt Bewegung in die Rechtsabteilung der Behörde, die mit demselben Datum folgerichtig endlich das Jobcenter anweist, die Ablehnungsentscheidung „ganz aufzuheben (…) einen Abhilfebescheid zu erteilen“ und dem Betroffenen ohne weitere rechtliche Begründung mitzuteilen: „Ihrem Widerspruch ist damit in vollem Umfang abgeholfen.“ Am 6. Februar endlich – zwei Monate nach Rechnungsvorlage – teilt die Behörde das sowohl ihrem „Kunden“ als auch dem Gericht mit. Offenbar bestrebt, diese Rechtswidrigkeit rasche aus der Welt zu schaffen, zahlt das Jobcenter dann auch prompt am 9. Februar. Erst dann kann der Betroffene auch das Sozialgericht entlasten, indem der das Verfahren für „erledigt“ erklärt.

Nach Ansicht der Hartz4-Plattform ist dies wieder einmal einer von zigtausend Fällen, mit denen die Sozialgerichte mutwillig durch die Hartz IV-Behörden belastet werden. Und das liege, so die Bürgerinitiative, nicht – wie vielfach entschuldigend öffentlich erklärt wird – an der Kompliziertheit des Gesetzes oder der Überlastung der Behördenmitarbeiter. „Es liegt,“ stellt Brigitte Vallenthin fest, „einzig und alleine daran, dass interne Verwaltungsanweisungen willkürlich die Rechte der Hartz IV-„Kunden“ einschränken.“

„Ich empfinde es als beschämendes Trauerspiel,“ so Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin, „dass es erst nötig ist, die ohnehin unverhältnismäßig überlasteten Sozialgerichte mit derart zweifelsfreien Rechtsansprüchen zu belasten. Dennoch kann ich nur jedem raten, sich diese Leistungskürzungen nicht gefallen zu lassen, Widerspruch einzulegen bzw. Überprüfungsantrag zu stellen und notfalls die Hilfe der Sozialgerichte in Anspruch zu nehmen – damit der Vermieter nicht den Gashahn zudreht.“ (pm)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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