Hartz IV: Kein Zwang zur Prostitution?

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Es ging als Skandal durch die Medien: Hartz IV Bezieher sollten per Sanktionen unter das Existenzminimum gepresst werden, wenn sie keine Arbeit in einem Sex-Shop annehmen. Ob die Bundesagentur für Arbeit auf den öffentlichen Druck reagierte, lässt sich vermuten. Jedenfalls erstellte sie jetzt neue Regeln für die Vermittlung von Hartz IV Betroffenen in Sexarbeit.

Bundesagentur sieht Image gefährdet
In dem Richtlinen „Fachliche Hinweise zur Vermittlung in Sonderfällen“ heißt es: „Die BA befindet sich in der Thematik „Vermittlung im erotischen Bereich“ auf einer Gratwanderung.“ Dabei ginge es insbesondere auf die „öffentliche Wahrnehmung“, die „bei Beschwerden, Pressenachfragen o.ä. Auswirkungen auf das Image der BA“ haben könnte. Um die Grundrechte der Hartz IV Betroffenen geht es also nicht. Die BA sorgt sich vielmehr, in der Öffentlichkeit als staatliche „Puffmutter“ da zu stehen.
Alexander Fischer von der Linken in Berlin sagte: „Niemand darf zu solchen Jobs gezwungen werden. Da ziehen Arbeitsagentur und Senat an einem Strang“. Die Bundesagentur unterscheidet jetzt sechs verschiedene Kategorien von „Tätigkeiten in Bezug ihrer Nähe zum erotischen Gewerbe“.

Keine Vermittlung für bezahlten Geschlechtsverkehr
Kategorie 1, also Prostitution, dürfen Jobcenter demnach nicht in Stellenbörsen veröffentlichen und auch nicht vermitteln. Das gleiche gilt für Kategorie 2, die „direkten erotischen Dienstleistungen“. Die BA schreibt: „In diesen Fällen werden individuelle Persönlichkeitsrechte über eine rechtlich zugelassene Beschäftigungsform gestellt.“

Peepshow reinigen nur auf Wunsch
Die dritte Kategorie „Vorbereitung und Unterstützung erotischer Dienstleistungen“ hält die Bundesagentur schwammig: „In der Praxis ist die Abgrenzung von eindeutig beschriebenen Tätigkeiten in der Prostitution oder direkten erotischen Dienstleistungen zu angrenzenden oder Mischtätigkeiten im Erotikbereich häufig schwierig.“

Dazu gehören Service-Kräfte in der Rotlicht-Gastronomie wie Barkeeper, Reinigungskräfte, die Sperma in der Peepshow aufwischen, aber auch „Mediengestalter für Erotikportale“ oder „Kunden-Support zur Vermittlung erotischer Dienstleistungen“.
Das sollten Jobcenter nur vermitteln, wenn Betroffene die Vermittlung einer solchen Stelle ausdrücklich wünschten.

Nicht „sofort“ Sanktionen verhängen
Kategorie 4 bis 6 umfasst unter anderem den „Vertrieb erotischer Waren“, also die Tätigkeit, die ein Betroffener in Berlin verweigerte und dafür mit Sanktionen bedroht wurde. Hier soll das Jobcenter solche Stellen zwar vermitteln dürfen, aber nicht „sofort“ Sanktionen verhängen.

Es geht nicht um Sexarbeit
Erst durch die öffentliche Skandalisierung sah sich die Bundesagentur veranlasst, den Zwang für Hartz IV Betroffene zu lockern, erotische Produkte zu verkaufen. Die jetzigen „Richtlinien“ verdecken indessen, dass das Problem nicht Dienstleistungen im erotischen Bereich sind.

Der Angriff auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen sind vielmehr das willkürliche Ermessen der Jobcenter über „Zumutbarkeit“ und das Streichen der Existenzmittel, wenn jemand in den Mühlen des Hartz IV Systems nicht jeden Sklavenjob zu jeder Bedingung annimmt.

Wer sein Menschenrecht in Anspruch nimmt, selbst zu entscheiden, was für ihn persönlich zumutbar ist, wird in der Konsequenz in Hunger und Kälte gedrückt.

Ein Mensch entscheidet selbst, was für ihn zumutbar ist
Ob und was zumutbar ist, haben bei der Wahl des Arbeitsplatzes nicht die Jobcenter zu entscheiden, sondern die Arbeitssuchenden. Im Klartext: Ob es für einen Vegetarier zumutbar ist, in einer Fleischerei zu arbeiten, für einen Nichtraucher in einer Raucherkneipe, für einen Atheisten im Fundraising der christlichen Johanniter – das hat keine staatliche Behörde zu entscheiden, sondern das Individuum.

Sklavenmarkt Jobcenter
Für die Mitarbeiter der Jobcenter gilt indessen: Sie entscheiden nach reiner Willkür, was sie für die Betroffenen als „zumutbar“ ansehen. Sie präsentieren so ausbeuterischsten Unternehmen nahezu rechtlose Sklaven zu Hungerlöhnen auf dem Silbertablett.
Um „Sexarbeit“ geht es dabei nur insofern, dass die Jobcenter die Hartz IV Abhängigen metaphorisch zwingen, „auf den Strich zu gehen“. Wenn jemand freiwillig erotische Produkte verkaufen will, ist das seine Sache.

Sanktionen gehören abgeschafft
Wenn Jobcenter aber jemand mit Höhenangst zwingen, auf einem Baugerüst zu arbeiten, an Depressionen Erkrankte wider ärztliche Gutachten in Arbeit zwingen, die ihre Krankheit verschlimmert, handelt es sich um eine massive Verletzung von Persönlichkeitsrechten. Um diesem Verbrechen einen Riegel vorzuschieben, gilt es als erstes, die menschenrechtswidrigen Sanktionen abzuschaffen.

Bild: andriano_cz-fotolia

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