Hartz IV Kampagne: Reiches Land- Arme Kinder

Lesedauer 4 Minuten

Einladung zum Mit-Machen bei der Kampagne "Reiches Land – Arme Kinder"

0 Cent für die Schule, 76 Cent für Spielzeug oder 40 Cent für den Kauf eines Fahrrads – die monatlichen „Hartz-IV-Leistungen” für Kinder sind ein Skandal. Hartz IV macht Kinder arm. Mit der Kampagne „Reiches Land – Arme Kinder” fordern wir daher dringend notwendige, zusätzliche Leistungen für Kinder in „Hartz IV”. Und wir wollen diese zusätzlichen Leistungen – zumindest beispielhaft in einzelnen Orten – auch tatsächlich durchsetzen!

Aber es geht uns um mehr: Wir, die UnterzeichnerInnen dieses Aufrufs, sehen in der Kampagne einen erfolgversprechenden Weg, Schritte aus der Defensive zu gehen, neuen Schwung in die Debatte um deutlich höhere Regelleistungen für alle zu bekommen und über Kampagnen-Arbeit „mächtiger” zu werden und mehr Druck ausüben zu können.

Wir möchten Euch, die Aktiven in örtlichen Initiativen, einladen und ermutigen, Euch nach Möglichkeit mit dezentralen Aktionen an der Kampagne zu beteiligen! Wie ist die Kampagne „gestrickt”? Welche Überlegungen stecken dahinter? Wie können Aktionen aussehen und welche Materialien und Hilfen gibt es bereits? Darum geht es in diesem Text.

Eckpunkte der Kampagne
Kern der Kampagne ist eine inhaltliche Zuspitzung: Wir bearbeiten unser großes Thema „Überwindung von Hartz IV”, indem wir einen wichtigen Teilaspekt – Hartz IV und Kinderarmut – herausgreifen und in den Mittelpunkt stellen.

Mit der Kampagne setzen wir primär auf dezentrale Aktivitäten vor Ort. Wir wollen erreichen, dass sich auf kommunaler Ebene eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Skandal der Kinderarmut entwickelt, dabei aber auch weitergehende, über die kommunalen Spielräume hinausgehende Forderungen transportieren.1

Die Forderung „Extra-Leistungen für Kinder” richtet sich an die „Entscheider” vor Ort und zielt auf gegebene Handlungsspielräume im Rahmen der bestehenden Bundesgesetze. Mit dieser „kommunalen” Orientierung wollen wir sowohl konkrete Verbesserungen für die Betroffenen erreichen als auch uns kleine Erfolge organisieren. Zusätzliche Leistungen für Kinder zumindest in einigen Orten durchzusetzen, ist zwar ein ehrgeiziges Ziel – nach unserer Einschätzung jedoch ein „Ziel in Reichweite”. Diese „kleinen Erfolge” sind uns wichtig, um als Erwerbsloseninitiativen mehr „Strahlkraft” zu gewinnen und attraktiver für neue Mitstreiter zu werden.

Bei der konkreten Ausgestaltung der Aktivitäten orientieren wir uns an Methoden der Kampagnenarbeit: Statt das Thema „Kinderarmut” abstrakt abzuhandeln, setzen wir auf eine lebensnahe Ansprache und anschauliche Beispiele. Die Aktionen und Materialien sollen die Köpfe und Herzen ansprechen und wir personalisieren die Auseinandersetzung („das Unrecht hat Namen und Adressen!”)

Es gibt auch gut begründete Einwände gegen die Kampagnen-Konzeption: Ist die Kampagne nicht riskant, weil „die Armen” in „gute, unschuldige” Kinder und „schlechte, arbeitsunwillige” Erwachsene gespalten werden können? Und stellen wir uns mit dem Kinderthema nicht selbst ein Bein, da die Aktiven in den Erwerbsloseninitiativen ganz überwiegend nicht (mehr) mit Kindern zusammenleben? Den erstgenannten Fallstrick glauben wir vermeiden zu können, wenn in den Materialien zur Kampagne klar gemacht wird, dass Kinder natürlich nie isoliert, sondern Eltern und Kinder zusammen in Armut leben und eine Eckregelleistung, die Teilhabe statt Ausgrenzung ermöglicht, sowie ein gesetzlicher Mindestlohn (deutlich über „Hartz IV Niveau”!) immer gleichzeitig gefordert werden. Der zweite Einwand ist nicht unberechtigt, allerdings zeigen die vielfältigen Aktionen, die bereits stattgefunden haben, dass auch kinderlose Erwerbslose bereit sind, sich bei der Kampagne zu engagieren. Dieses „Eintreten-für-andere” kommt in der Öffentlichkeit eher gut an.
Hartz IV und Schulsachen

Wir empfehlen bei der Kampagne das Thema „Hartz IV und die Schulkosten” in den Mittelpunkt zu stellen und konkret zusätzliche Leistungen für Schulsachen zu fordert. Die Verknüpfung mit dem Thema Bildung/Schule hat den Vorteil, dass wir einen krassen Widerspruch offen legen können: Seit den PISA-Studien fordern viele PolitikerInnen in Sonntagsreden bessere und gleiche Bildungschancen für Kinder, während Hartz-IV-Haushalten selbst das Geld für Schul- und Arbeitshefte fehlt. Der Grund dafür: in der Regelleistung für Kinder und Jugendliche ist ein Bedarf für Schule und Bildung gar nicht mehr vorgesehen! Dieser Widerspruch schreit geradezu nach Veränderung.

Im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten vor Ort, sind zusätzliche Leistungen für Schulsachen auf mehreren Wegen denkbar:

– Die ARGE nutzt bestehende Ermessensspielräume, gewährt zu Beginn des Schuljahres pro Schulkind ein Darlehen – von sagen wir 100 € – und verzichtet auf die Rückzahlung (Darlehen als faktischer Zuschuss, nach § 44 SGB II möglich).#

– Die Kosten für Schulbedarf werden in tatsächlicher Höhe als Bildungsausgaben vom Einkommen „Kindergeld” abgesetzt, bevor es angerechnet wird. Immerhin ist eine ausreichende Schulbildung die wichtigste Voraussetzung für Kinder, einen Beruf zu erlernen und ihren Lebensunterhalt künftig selbst zu bestreiten. (Ansatz von Tacheles e.V., hierzu wird ein Musterverfahren angestrebt.)

– Die Kommune richtet einen Fonds für Schulmaterialien ein, aus dem die Kosten für Arbeitshefte, Zirkel, Taschenrechner u.a.m. finanziert werden.2

Zeitrahmen / Aktionen
Bei der Kampagne ist "kleines Engagement" und „großes Engagement” möglich und gleichermaßen willkommen:

– einzelne Veranstaltungen „Hartz IV und Schulkosten” oder ein Info-Tisch oder eine Flugblatt-Verteilaktion. Jede Aktion, die öffentlich wahrgenommen wird, ist ein kleiner Erfolg!

– mehrere, aufeinander aufbauende Aktivitäten, mit dem Ziel, über öffentlichen Druck tatsächlich zusätzliche Leistungen für Hartz-IV-Kinder durchsetzen zu wollen („Druckphase”).

Die KOS orientiert auf Aktionen im Zeitraum März bis zum Beginn der Sommerferien bzw. den Einschulungsterminen 2007. Wir streben an, uns noch auf eine gemeinsame (dezentrale) Aktionswoche zu verständigen. Das „Aktionsbündnis Sozialproteste (ABSP)” ruft bereits zu dezentralen Aktionen „Gegen-Armut-2007” in der Woche ab dem 2. April auf.3 Wir empfehlen, angedachte Aktivitäten – soweit möglich und sinnvoll – in die Aktionswochen zu legen. Die zeitliche Bündelung kann uns helfen, mehr Aufmerksamkeit zu erzielen.

Initiativen, die neu ins Thema einsteigen und zukünftig Aktionen machen wollen, werden mehr zeitlichen Vorlauf benötigen: Der Beginn des neuen Schuljahres bietet ein zusätzliches Zeitfenster für öffentlichkeitswirksame Aktionen.

Der Ablauf der „Druckphase” könnte beispielsweise so aussehen: Die Initiative in Musterstadt wählt den Fraktionsvorsitzenden der SPD im Stadtrat, der sich „sozial” gibt, als Adressaten für ihre Forderung aus. In der Aktionswoche ab 2. April wird die Forderung „Extra Leistungen für Schulsachen” übergeben und öffentlich gemacht – etwa bei einem Gesprächstermin, bei dem eine leere Schultüte oder eine gefüllte Schultasche (Schulsachen mit Preisen) übergeben wird. In der zweiten Aktionswoche wird die Forderung nachdrücklicher gestellt: Wir sind am Büro des Adressaten präsent („Mahnwache”, „Amerikanische Demo”, „Belagerung”). Falls erforderlich (wir werden hingehalten oder unsere Forderung abgelehnt), dann setzen wir vor den Sommerferien noch eins drauf und „besuchen” den Adressaten in seinem Büro oder begleiten ihn mit Trillerpfeifen und Transparenten bei öffentlichen Terminen oder stellen personenbezogene „Kopfplakate” („Herr xy, wann tun Sie endlich etwas gegen Kinderarmut?”) auf… Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Materialien & Hilfen

Wenn Ihr Euch mit dezentralen Aktionen beteiligen wollt, dann muss das Rad nicht neu erfunden werden:
– Von der KOS gibt es u.a. für Verteil-Aktionen einen kostenlosen Flyer („Wieviel Geld braucht ein Kind im Monat?”) und eine Kopiervorlage („Ohne Schulsachen lernt sich’s schlecht”) sowie

– zwei Arbeitshilfen („Druck aufbauen – gewinnen wollen!”, „Extra-Leistungen für Schulsachen”) mit Tipps, wie die „Druckphase” der Kampagne ausgestaltet werden kann.

– Die ALSO Oldenburg hat die sehr informative Aufklärungsschrift „Hartz IV und die Schulkosten” herausgegeben. Wenn die örtlichen Bezüge angepasst werden, kann die Broschüre relativ leicht in anderen Orten „nachgeahmt” werden.

– Der Regionalverbund der Erwerbsloseninitiativen Weser-Ems hat die unzureichenden Leistungen anschaulich und ähnlich einem Versandhauskatalog dargestellt.

Alle genannten Materialien stehen unter www.erwerbslos.de, „Kampagnenseite”
– Anregungen für Aktionen findet ihr auch auf den Aktions- /Terminübersichten auf den Seiten von ABSP und KOS)

Bitte informiert uns frühzeitig über Eure Aktivitäten, damit wir sie als Anregung für andere Initiativen öffentlich machen können (Kontakt: info@erwerbslos.de ).

UnterzeichnerInnen (alphabetisch):
Aktionsbündnis Sozialproteste (ABSP), Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen e.V. (BAG-SHI), Erwerbslosen Forum Deutschland, Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen (KOS), quer und Tacheles e.V. Wuppertal (Tacheles e.V.12.03.07)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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