Hartz IV: Alltag in der ARGE

Lesedauer 5 Minuten

Wer nicht auf Hartz IV angewiesen ist, kann sich zumeist nicht vorstellen welche Schikanen und Unterwerfungsmechanismen täglich von ALG Opfern abgewendet werden müssen, um wenigstens Grundrechte wie "Heizkosten" oder die "Übernahme der Mietkosten" zu erwirken. Wir veröffentlichen einen Tatsachenbericht von Herrn Lincke aus Thüringen:

"Hiermit beantrage ich die ARGE Mühlhausen zur unfreundlichsten ARGE Thüringens zu wählen."
Am 28.04.2006 bekamen wir die Betriebskostenabrechnung für unsere Wohnung. Selbstverständlich mit einer Nachzahlung – die Heizkosten sind, trotz gleich bleibendem Verbrauch, in den letzten 3 Jahren um über 20% gestiegen. Am 29.04.2006 haben wir die darin geforderte Heizkostennachzahlung von 126,49 Euro schriftlich bei der ARGE Mühlhausen beantragt. Außerdem die in der Betriebskostenabrechnung geforderte Erhöhung der Heizkostenvorauszahlung und Verringerung der Nebenkostenvorauszahlung. Ein Monat verging und der Zahlungstermin rückte heran. Erster Anruf bei der Hotline, denn jeglicher persönlicher Kontakt wird hier weitestgehend unterbunden: "…da kann ich ihnen nicht weiter helfen, aber ich kann denen (der Leistungsabteilung) eine Nachricht hinterlassen, dass die sie zurück rufen." Danke.

Wie erwartet kam kein Rückruf. Eine Woche später mein zweiter Anruf bei der Hotline mit gleichem Ergebnis. Noch eine Woche später dasselbe Trauerspiel. Diesmal wird mir von der freundlichen Dame der Hotline jedoch ein Termin bei der Leistungsabteilung angeboten, telefonische Terminvereinbarung sei jetzt neu. Natürlich mache ich davon sofort Gebrauch. Am 20.06.2006 vormittags sitze ich nun im Büro eines Mitarbeiters der Leistungsabteilung der ARGE Mühlhausen. Er sieht meine Unterlagen durch, die ich vorsichtshalber nochmals in Kopie mitgebracht habe (schließlich weis ich aus eigener Erfahrung, wie oft hier Akten nicht auffindbar sind), rechnet nach und erklärt mir, dass die Kosten gerade noch angemessen sind und verspricht mir die sofortige Bearbeitung.

Wieder eine Woche später hat sich – natürlich – immer noch nichts getan…
Ich rufe wieder bei der freundlichen aber hilflosen Hotline an und lasse mir erneut einen Termin geben. Am 30.06.2006 sitze ich wieder im selben Büro der Leistungsabteilung, dieses mal jedoch einer Frau **** gegenüber. Diese erklärt mir nach
kurzem Blick auf meine Unterlagen, dass ich mich da gar nicht zu wundern bräuchte. Meine Wohnung sei ohnehin schon zu teuer und eine Nachzahlung könne die ARGE da nicht auch noch übernehmen und einen schriftlichen
Bescheid bekäme ich nicht.

Noch höflich und ruhig wies ich sie darauf hin, dass mir ihr Kollege da eine Woche zuvor aber eine ganz andere Auskunft gegeben habe. Nach erneutem Blick auf meine Unterlagen meinte sie: "….das könne nicht sein…".
Auf meine darauf folgende Frage warum ich keinen Bescheid bekäme, sagte sie: "…das machen wir hier so…".
Schon ziemlich erbost erklärte ich ihr, dass ich das Recht auf einen schriftlichen Bescheid hätte und sie die Pflicht, mir einen solchen zu erteilen. Außerdem müsse sie laut SGB2 auch bei unangemessenen Kosten diese für mindestens 6 Monate übernehmen und wenn sie das ablehne, würde ich dies einklagen. Darauf antwortete sie: "Dann tun sie das und
verlassen sie jetzt das Büro, ich muss weiter arbeiten."

Ich weigerte mich jedoch und erklärte ihr, dass mir der Mitarbeiter eine Woche zuvor erklärt hatte, dass die Heizkosten gerade noch angemessen seien. Darauf antwortete sie: "Ach sie meinen die Heizkosten! Woher soll ich das denn wissen! Ich kenne schließlich ihre Unterlagen nicht! Und sie sprechen ja immer von Betriebskosten. Heizkosten sind ja was ganz
anderes! Hier kann es natürlich sein, dass diese übernommen werden. Ich werde das bearbeiten, sie bekommen Bescheid."

In vollem Vertrauen, dass ich auf diesen Bescheid lange warten kann, verließen wir das Büro und ich schrieb zu Hause sofort eine Klage wegen Untätigkeit der ARGE an das Sozialgericht Nordhausen. Ziemlich überrascht fand ich am 01.07.2006 ein Schreiben der ARGE in meinem Briefkasten vor, das mir die volle Kostenübernahme der Heizkosten zusicherte.

Außerdem wurde ich darüber belehrt, dass meine Wohnkosten zu hoch sind und nur noch bis 31.12.2006 übernommen werden. Was zu hoch ist, was ab 01.01.2007 nicht mehr übernommen wird, darüber stand nichts darin (siehe Anhang), obwohl dies meinem Wissen nach eigentlich für die Rechtskräftigkeit eines solchen Bescheides zwingend vorgeschrieben ist.
Weiter steht, ich solle vor dem Abschluss eines Mietvertrages das Einverständnis der ARGE einholen, ansonsten würden nur die angemessenen Wohnkosten übernommen und keine Umzugskosten. Außerdem gelten derzeit folgende Wohnkosten für uns als angemessen:

Kaltmiete: 5 Euro je m2;
Nebenkosten: 1 Euro je m2;
Heizkosten: 1 Euro je m2;
Wohngröße für 4 Personen: 85 m2;. Lt. mündlicher Auskunft des o.g. Mitarbeiters sind nicht die Einzelpositionen sondern die Gesamtwarmmiete ausschlaggebend.

Gemäß diesen Angaben haben wir Anspruch auf Übernahme von maximal 595 Euro Wohnkosten je Monat. Man stelle sich unsere Verwirrung vor, denn derzeit bezahlen wir für 74,22m⊃2; warm 506,74 Euro. Und mit der neuen Heizkostenvorauszahlung sind es auch nur 523,14 Euro.

Wieso soll das auf einmal nicht mehr angemessen sein? Selbst bei einzelner Betrachtung der Höhe der neuen Heizkostenvorauszahlung (90 Euro – 18% = 73,80 Euro bei 74,22m⊃2;) liegt diese mit 99,4 Cent/m⊃2; immer noch unter der Angemessenheitsgrenze von 1 Euro. Kaltmiete ist 4,37 Euro/m⊃2;.

Was also ist unangemessen hoch und was sollen wir um welchen Betrag senken? Ratlosigkeit. Unser Verbrauch an Wasser und Heizenergie hat sich in den letzten 4 Jahren nicht erhöht und die Fixkosten der Wohnung können wir nicht beeinflussen. Sollen wir jetzt nur noch jeden 2. Tag duschen? Da der erste Teil des Bescheides die Heizkosten betrifft, sind vielleicht diese gemeint? Sollen wir jetzt im Winter frieren? Oder liegt hier ein Fehler vor?

Hat vielleicht die Sachbearbeiterin Frau **** vergessen, die Pauschale für Warmwasser abzuziehen?
Dann wäre Frau **** irrtümlich von 90 Euro für 74,22m⊃2; = 1,21 Euro/m⊃2; ausgegangen.

Das würde auch erklären, warum die Heizkostennachzahlung in voller Höhe und nicht abzüglich der 18% Warmwasserpauschale übernommen wurde. Kann ein Mitarbeiter, der mit seinen finanziellen Entscheidungen für das
Überleben von fast 300 Arbeitslosen zuständig ist, trotz eindeutiger Aktenlage einen solchen groben Fehler machen und uns deshalb aus unserer Wohnung vertreiben? Oder ist der offensichtlich unbegründete Bescheid nur eine Retourkutsche der vor Unwissenheit, Unfreundlichkeit und Herabwürdigung übersprühenden Mitarbeiterin, eine billige Rache? Und wie steht es dann mit der Erklärung, dass die Warmmiete entscheidend sei?

Über die freundliche Hotline vereinbare ich wieder einen Termin für den 10.07.2006 – eine Woche später – um diese Ungereimtheiten zu klären. Zwischenzeitlich bekamen wir durch Zufall ein hervorragendes Mietangebot: 4 Zimmer, 73m⊃2;, 350 Euro kalt, 73 Euro Nebenkosten, 73 Euro Heizkosten, also absolut angemessen und mit 496 Euro warm sogar unter
unserer bisherigen Warmmiete.
Am 10.06.2006 begrüßte uns Frau ***** mit "Worum geht es?" Ich antwortete ihr: "Um ihren Bescheid." und legte ihr einen Antrag auf Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten, Umzugskosten und Kaution vor. Mit den Worten: "Das wird demnächst bearbeitet." machte sie einen Stempel darauf und ab damit in die riesige Ablage.

Nun legte ich ihr das Mietangebot vor. Wir freuten uns schon auf ihre Zustimmung, wurden jedoch stattdessen angeschnauzt:
"Haben sie hier (auf dem Mietangebot) herumgeschmiert? Haben sie das da durchgestrichen?"
"Nein!" war meine Antwort auf diese freche Unterstellung und abwertende Behandlung.

"Sie müssen doch jetzt noch nicht umziehen, sie haben doch 6 Monate Zeit!" war ihre nächste Reaktion.
Ich wies sie höflich darauf hin, dass ich 3 Monat Kündigungsfrist einzuhalten hätte, und somit statt dessen höchstens 3 Monate Zeit. Außerdem seien solche Wohnungen in Mühlhausen absolute Mangelware und deshalb schnelles Handeln nötig.
Daraufhin warf sie mir das Mietangebot entgegen mit den Worten: "Dann brauche ich von ihnen 3 Angebote von 3 verschiedenen Anbietern.

Anschließend entscheidet meine Chefin, welche Wohnung davon sie beziehen dürfen!" Enttäuscht und erbost über soviel Unverschämtheit und Schikane wehrte ich mich energisch: "In welche Wohnung ich ziehe ist immer noch meine Entscheidung!" Darauf entgegnete sie: "Sie haben ja ein Mitspracherecht." Woraufhin ich von ihr forderte mir zu sagen, auf
welche rechtlichen Grundlagen sich ihre Forderung nach drei Mietangeboten und ihr Verfahren der Wohnungsauswahl stützen. "Das kann ich ihnen nicht sagen, ich kenne das SGB2 nicht. Es wäre besser, sie verlassen jetzt das Büro!" war ihre drohende Antwort. "Aber ich kenne das SGB2 und weis, das so etwas da nicht drin steht! " entgegnete ich ihr.
"Soll ich mich über meine Dienstanweisung hinweg setzen?" fragte sie darauf hin und ich erwiderte: " Ich möchte mit ihrer Chefin sprechen!", "Dann machen sie einen Termin!" war ihre Reaktion.
"Das werde ich tun!" erwiderte ich und verließ mit meiner Frau grußlos das Büro.
"Auf wieder sehen!" rief sie mir mit provokativ aufgesetzter Höflichkeit hinterher, "Nicht wenn ich es vermeiden kann!" entgegnete ich im Gehen, schon im Flur außer Sichtweite, aber deutlich hörbar.


Fortsetzung folgt. Falko Lincke.

Lesen Sie die Fortsetzung:
Hartz IV: Alltag in der ARGE Teil II und Hartz IV: Alltag in der ARGE Teil III

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

Wird geladen ... Wird geladen ...