Hartz IV: ALG II-Überprüfungsanträge stellen!

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Hartz IV-Regelleistungen auf dem Verfassungsprüfstand
Erwerbslosenverein ruft Leistungsbezieher dazu auf, Hartz IV Überprüfungsanträge zu stellen

Aufgrund mehrerer Vorlagebeschlüsse und Klagen prüft das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) derzeit die Höhe der Regelleistungen von Arbeitslosensgeld II- und Sozialgeld-Beziehern. Die Überprüfung umfasst entgegen anderslautenden Medienberichten nicht nur die Kinderregelleistungen, sondern auch die Leistungen der Erwachsenen. Dies hat der Vorsitzende der ersten Kammer des BVerfG, Prof. Papier in der mündlichen Anhörung am 20. Oktober 2009 ausdrücklich klargestellt.

„Das BVerfG hat jetzt zwei Möglichkeiten im Sinne der Betroffenen zu entscheiden“ erläutert Harald Thomé, Vorsitzender vom Erwerbslosen- und Sozialhilfeverein Tacheles aus Wuppertal. „Es könnte feststellen, dass die Bemessung der Regelleistungen gegen die verfassungswidrig ist und korrigiert werden muss. Diese Korrektur könnte dann entweder mit Wirkung für die Zukunft gefordert werden oder aber rückwirkend für die Vergangenheit.“

Sollte das BVerfG Korrekturbedarf für die Vergangenheit geltend machen, so der Verein, könnten aus der dann zu erwartenden rückwirkenden Erhöhung der Regelleistungen Nachzahlungen in beträchtlicher Höhe resultieren. „Geld bekommen aber nur diejenigen nachgezahlt, die Widersprüche gegen Bewilligungsbescheide eingelegt haben oder einen sogenannten Überprüfungsantrag gestellt haben“, erklärt Thomé. „Hartz IV-Bezieher die sich nicht rechtzeitig ihre Ansprüche sichern, gehen dagegen in jedem Fall leer aus.“ Wird ein Überprüfungsantrag für den entsprechenden Zeitraum gestellt, muss bei einer rückwirkenden Erhöhung der Regeleistungen für vier Jahre nachgezahlt werden. Tacheles e.V. rät daher allen Betroffenen, Überprüfungsanträge zu stellen und gegen aktuelle Bewilligungsbescheide Widerspruch einzulegen. Das gilt auch für Bezieher von Soziahilfe und Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung. Diese Fürsorgeleistungen haben
dieselbe Bemessungsgrundlage wie die Hartz IV-Leistung. Nach der Urteilsverkündung durch das BVerfG, die im Januar/Februar 2010 erwartet wird, können rückwirkende Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden.

Die Chancen auf eine Nachzahlung schätzt Harald Thomé nicht allzu hoch ein, aber immer noch hoch genug, um schleunigst tätig zu werden

Die Chancen auf eine Nachzahlung schätzt Harald Thomé nicht allzu hoch ein, aber immer noch hoch genug, um schleunigst tätig zu werden. Zu diesem Zweck hat der Verein Tacheles entsprechende Musterschreiben und Informationen auf seiner Homepage unter www.tacheles-sozialhilfe.de bereitgestellt.

Aber auch ohne rückwirkende Korrekturen ist das Regelsatz-Verfahren vor dem BVerfG ein echter Lichtblick für Erwerbslose: „Zum ersten Mal hat das höchste deutsche Gericht grundlegende Mängel an der Hartz IV-Reform aufgedeckt und sozialstaatliche Mindeststandards herangezogen“, freut sich Thomé. „Um diese Standards wird auch die neue Bundesregierung mit ihren Plänen zur weitgehenden Pauschalierung von Leistungen nicht herumkommen. Stattdessen ist eine deutliche Erhöhung der Beträge längst überfällig!“ Die BVerfG-Entscheidung könnte ein wichtiger Schritt in diese Richtung werden.

Die Musterschreiben zum Download:

1. Überprüfungsantrag für die Vergangenheit

Diejenigen, die in den letzten Jahren SGB II/SGB XII-Leistungen bezogen haben, müssen einen Überprüfungsantrag stellen, um Ansprüche für die Vergangenheit zu sichern. Dafür ist es nicht erforderlich jetzt im Leistungsbezug zu sein, es reicht ein früherer Leistungsbezug.

Dieser Überprüfungsantrag sollte bis spätestens 31 Dezember 2009 gestellt sein (Eingang bei der Behörde!), da er dann bis zum Jahr 2005 zurückwirkt, wird er später gestellt, wirkt er nur bis 2006 zurück. Nach Urteilsverkündung durch das BVerfG ist ein Überprüfungsantrag nicht mehr möglich.

Musterüberprüfungsantrag für SGB II/ALG II [RTF 41KB] (für Einzelpersonen und Familien)
für SGB XII/Sozialhilfe und Grundsicherung [RTF 36KB] (für Einzelpersonen und Familien)

2. Muster Widerspruch für aktuelle Bescheide

Diejenigen, die jetzt einen aktuellen Bewilligungsbescheid von der ARGE/vom Sozialsamt erhalten, müssen gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegen. Entsprechende Musterwidersprüche gibt es hier:

Musterwiderspruch für SGB II/ALG II [RTF 32KB] (für Einzelpersonen und Familien)
Musterwiderspruch für SGB XII/Sozialhilfe und Grundsicherung [RTF 41KB] (für Einzelpersonen und Familien)

3. Musterwiderspruch bei Ablehnung eines Überprüfungsantrages

Einige ARGEn lehnen Überprüfungsanträge mit verschiedenen Begründungen ab. Hier muss Widerspruch eingelegt werden, damit das Verfahren offen bleibt. Sollte die Frist verstrichen sein, kann unproblematisch ein erneuter Überprüfungsantrag gegen den ablehnenden Bescheid eingelegt werden.

Musterwiderspruch bei Ablehnung des Überprüfungsantrages für SGB II/SGB XII [RTF 28KB] (für Einzelpersonen und Familien)

4. Musterklage gegen Widerspruchsbescheid bei Ablehnung eines Widerspruchs oder des Überprüfungsantrages im Widerspruchsverfahren

Arbeiten die ARGEn (ausnahmsweise mal) schnell, und wehren die rückwirkenden Ansprüche duch einen ablehnenden Widerspruchsbescheid ab, muss Klage eingereicht werden, um das Verfahren offen zu halten und den nächsten Rechtsschritt gehen zu können.

Musterklage bei ablehnenden Widerspruchsbescheid für SGB II/SGB XII [RTF 16KB]

Nachzahlungen sind anrechnungsfrei

Sollte die Behörde aufgrund der BVerfG-Entscheidung zur Nachzahlung gezwungen sein, dürfen diese Zahlungen nicht als Einkommen angerechnet werden (§ 11 Abs. 1 S. 1 SGB II, § 82 Abs. 1 S. 1 SGBXII). Auch die Anrechnung als Vermögen kommt nicht in Betracht. Wenn durch die Nachzahlung die Grenzen des Schonvermögens überschritten würden (das kann im SGB XII schnell passieren), wäre diese unter Anwendung der Härteklauseln (§ 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II, § 90 Abs. 3 SGB XII) anrechnungsfrei zu stellen.

Thomas Kallay, einer Kläger vor dem BVerfG, fordert Hartz IV-Betroffene auf: „Wehrt Euch Leute! Nur Mut, denn es lohnt sich!”. Dem möchten wir hinzufügen: In Zeiten von Hatz IV ist das auch dringend nötig! (Tacheles e.V., 17.11.2009)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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