Hartz IV: Rote Karte für Zwangsumzüge

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Rote Karte für Zwangsumzüge
Mietwertgutachten des Landkreises wertlos

Celle. Eine derbe Schlappe hat der Landkreis Celle im Sommer vor dem Sozialgericht Lüneburg hinnehmen müssen. Mit einem Mietwertgutachten wollte er die Angemessenheitsobergrenze für Hartz -IV-Leistungsberechtigte nach unten drücken. Doch die Lüneburger Richter wiesen die dort ermittelten Werte in einem Beschluss vom August 2009 als untauglich ab.

Das Urteil über das Gutachten ist vernichtend: Die Richter sprechen von "Wertungswidersprüchen, die sich durch das gesamte Gutachten ziehen" mit der Folge: Die Schlüssigkeit des Gesamtkonzepts des Gutachtens ist dadurch tiefgreifend gestört. "Aufgrund dieser Unzulänglichkeiten" sei wie vordem auf die Beträge der Wohngeldtabelle zurückzugreifen. Da die dort vorgenommene Pauschalierung mit gewissen Unbilligkeiten verbunden sei, sprachen sie sich für einen Zuschlag von 10 % zu den Tabellenwerten aus. (Sozialgericht Lüneburg vom 05 August 2009 – S 79 AS 779/09 ER; siehe auch 07 Juli 2009 – S 73 AS 927/09 ER)

Dies stellt eine erhebliche Verbesserung für die Betroffenen dar, wie unten stehende Tabellen im Vergleich ausweisen. Es handelt sich jeweils um die "Angemessenheitsobergrenzen" für die Bruttokaltmiete, also Miete und (kalte Nebenkosten), aber ohne Heizkosten. Alleinerziehende und schwerbehinderte Menschen können einen Mehrbedarf an zusätzlicher Wohnfläche von 10 m⊃2; für sich beanspruchen. Zum Ausgleich dieses Mehrbedarfs hinsichtlich der Bruttokaltmiete erfolgt eine Aufstufung des Tabellenwertes der unten stehenden Tabelle um eine weitere "imaginäre Person".

Der Landkreis hatte sich durch das Mietwertgutachten eine monatliche Ersparnis von rund 80.000 Euro erhofft, also rund eine Million im Jahr. Im März war im Sozialausschuss bekanntgegeben worden, dass auf der Grundlage dieses Gutachtens "von 7.366 ausgewerteten Zahlfällen künftig 1.952 Fälle einen geringeren Anspruch" hätten, also 26,5 Prozent. Seit März wurden daraufhin allen NeuantragstellerInnen nur noch die sich aus dem Gutachten ergebenden Miethöchstbeträge gewährt. Und es wurden Kostensenkungsaufforderungen in all jenen Fällen ausgesprochen, ?die um den Betrag von mind. 80 von dem jeweils ermittelten Miethöchstbetrag nach oben abweichen. In weiteren Schritten sollte bei all jenen gekürzt werden, die 40 Euro bzw. 20,01 Euro darüber lagen.

Bei etlichen Betroffenen dürfte also mittlerweile eine Kostensenkungsaufforderung eingegangen sein, oder es wurden – wie bei Neuanmietungen – jene Anteile nicht gezahlt, die über den Beträgen des Mietwertgutachtens lagen. Auch ist wahrscheinlich, dass es schon durch die Umstellung von der alten auf die neue Wohngeldtabelle zu Kürzungen seitens der Kreisverwaltung gekommen ist.

Dagegen können sich Betroffene jetzt auf Grundlage des Sozialgerichtsurteils mit großen Erfolgsaussichten wehren. Dabei bestehen folgende Möglichkeiten:

1.) Sollten in dem aktuellen Bewilligungsbescheid die Widerspruchsfristen noch nicht abgelaufen sein, sollte ein Widerspruch eingelegt werden. (siehe Musterentwurf rechts, der gleichzeitig ein Überprüfungsantrag ist – siehe unter 2.) Weiter wäre es sinnvoll, parallel ein Einstweiliges Anordnungsverfahren einzuleiten. Hierfür sollte ein/eine Rechtsanwalt/Rechtsanwältin eingeschaltet werden. Hierfür bedarf es eines Rechtsberatungsscheins, den es bei Vorlage von ALG II-Bescheid und Personalausweis beim Amtsgericht gibt. Damit ist die rechtsanwaltliche Vertretung kostenlos.

2.) Wenn die Widerspruchsfrist verstrichen ist, sollte ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt werden. Hiermit könnte erreicht werden, dass der rechtswidrige Bescheid korrigiert wird und vorenthaltene Leistungen erstattet werden müssen. (siehe Musterentwurf) Dies gilt auch für jene Konstellationen, bei denen durch die Umstellung von alter zu neuer Wohngeldtabelle Kürzungen erfolgt sind (dies müsste in der Begründung des Musterentwurfs vermerkt werden).

Besser wäre selbstverständlich, wenn die Landkreisverwaltung von sich aus und für alle Altfälle ihre rechtswidrige Praxis korrigiert. Dafür könnte es sinnvoll sein, wenn von Seiten der Betroffenen Kreistagsabgeordnete angesprochen werden. Eine Liste der Abgeordneten ist einsehbar unter: www.landkreis-celle.de (dort Kreistag, Mitglieder des Kreistages).

Und hier ein Muster für einen Überprüfungsantrag:

Landkreis Celle

Georg-Wilhelm-Str. 14

29223 Celle

Antrag gemäß § 44 SGB X

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit beantrage ich die Überprüfung meines ALG II – Bescheids – hier: Kosten der Unterkunft – vom [Datum] gemäß § 44 SGB X und lege gegen den laufenden Bescheid Widerspruch ein.

Begründung:

Mit oben genanntem Bescheid haben Sie auf Grundlage des so genannten Mietwertgutachtens eine Kürzung bei den Kosten der Unterkunft vorgenommen.

Zwischenzeitlich ist mir bekannt geworden, dass mit Beschluss vom 05 August 2009 das Sozialgericht Lüneburg die Tauglichkeit dieses Gutachtens zurückgewiesen hat. Aufgrund dieser ?Unzulänglichkeiten? sei wie vordem auf die Beträge der aktuellen Wohngeldtabelle zurückzugreifen. Da die dort vorgenommene Pauschalierung mit gewissen Unbilligkeiten verbunden sei, sprach sich das Sozialgericht für einen Zuschlag von 10 % zu den Tabellenwerten aus. (Sozialgericht Lüneburg vom 05 August 2009 – S 79 AS 779/09 ER; siehe auch 07 Juli 2009 – S 73 AS 927/09 ER)

Ich / wir beantrage(n) deshalb, vor dem Hintergrund des o.g. Beschlusses die vergangenen Bescheide zu überprüfen sowie den aktuellen zu korrigieren und mir / uns die Kosten der Unterkunft in voller Höhe zu gewähren sowie die mit Inkrafttreten des alten Bescheids unrechtmäßig einbehaltenen Leistungen rückwirkend zu erstatten.

Mit freundlichen Grüßen

Und noch ein wichtiger Hinweis: Der Spruch des Sozialgerichts Lüneburg hat auch Gültigkeit für all jene LeistungsbezieherInnen, die Leistungen nach dem SGB XII (also z.B. Sozialhilfe oder Grundrente) beziehen. Auch hier sollte auf dem beschriebenen Weg (aber adressiert an die zuständigen Sozialämter) versucht werden, Kürzungen rückgängig zu machen. (28.08.2009, Erwerbslosen Initiative Celle)

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