Hartz IV Kahlpfändungsskandal endet mit Verkauf

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Hartz IV-Kahlpfändungsskandal endet mit Pfandverkauf
von Joachim Weiss

Lörrach/Weil am Rhein. Am Wurmfortsatz des Archipels Gulag II, idyllisch im äußersten Südwesten der Republik gelegen, wurde am Samstag vor der Bundestagswahl der letzte ordnungspolitische Gewaltakt im sogenannten »Lörracher Kahlpfändungsskandal« vollzogen: Ein Pfandverkauf mit der Symbolkraft einer Bücherverbrennung, entfacht am Vorabend der Installation einer neuen marktradikalen Diktatur. Fahrenheit 451 – in einer Stadt, in der die Vorsitzende des Dt. Bibliotheksverbandes (dbv), Heute-Bluhm (CDU), als Oberbürgermeisterin regiert?

Während sich die Funktionäre des von Bertelsmann gesponsorten deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) zu ihrer Jahressitzung im Lörracher Rathaus trafen, laden pfandverkauf2großformatige Zeitungsinserate der Umzugsspedition Fröde aus Weil am Rhein zahlungskräftige Interessenten zu einem Schnäppchenmarkt der besonderen Art ein: Angeboten, oder besser gesagt weit unter Wert verramscht, sollen die Arbeitsbibliothek eines Schriftstellers, Büroinventar, Möbel, Hausrat, Spielsachen der Kinder, Gartenmöbel, Briefe, Bilder, Postkarten, Dokumente, Persönliches – kurzum Unersetzliches- werden.

Grund der Maßnahme: A) Der Hartz IV bemittelte Buchautor konnte monatliche Lagerkosten von 700,- Euro nicht bezahlen, b) das um Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (BSHG §72 DV 2001) ersuchte Kreissozialamt hat seinen Rechtsanspruch ungeprüft verneint und der Spedition dadurch einen Folgeschaden von über 10.000 Euro verursacht, c) das Sozialgericht Freiburg/Br. hat es in VIER Verfahren (!) nicht für erforderlich erachtet, zur Aufklärung der Rechtslage eine mündliche Anhörung unter Beiladung der beklagten Behörden (GAL und Kreissozialamt) anzuordnen (6).

Bis zum Schluss haben die Lörracher Grundsicherung für Arbeitssuchende (GAL), das Kreissozialamt und die Justiz alles unternommen, um die sozialverträgliche Lösung enes Falles zu verhindern, dessen Entstehungsgeschichte sich im Dunkel einer obskuren Verlagsfusion der Bertelsmann-Tochter Randomhouse mit dem Münchner Wilhelm Heyne-Verlag verliert. Um den geplanten Aufstieg von Randomhouse zur Führungsmacht der deutschen Buchbranche nicht mit negativer PR zu belasten, oder gar ins Zwielicht wirtschaftskrimineller Aktivitäten zu geraten, wurde der Buchautor gezielt mundtot gemacht, abserviert und wegprekarisiert, wobei es sich gut getroffen hat, dass die hauseigene Bertelsmann-Stiftung zum 1.1.2005 Hartz IV auf den Weg gebracht hat (1).

Wo der Giftstachel aus Gütersloh einmal zugestochen hat, regelt sich alles weitere Übel scheinbar von selbst. Die nächsten Stationen heißen Arbeitsagentur, Eingliederungsvereinbarung, 1-Euro-Job, Mietsenkungsverfahren, fristlose Kündigung der Wohn und Arbeitsräume. Weil solche Repressalien nur bei den normalen Hartz IV Beziehern wirken, während es sich vorliegend um einen besonders hartnäckigen Fall von Widerspruchsgeist handelte, haben Polizei und Justiz noch eine Sondereinlage zugesteuert: Zwangseinweisung in die Psychiatrie (paranoider Querulant, bezeichnet sich als Opfer von Bertelsmann…), Zwangsentmündigung, Bestellung eines Betreuers zur reibungslosen Abwicklung der Zwangsräumung, natürlich unter Polizeischutz, und (fix und) fertig war der Südenbock. (s. 3, 4, 5)

Dass ein in Zwangsräumungfragen besonders rühriges Speditionsunternehmen wie F. sogleich zur Stelle ist, wenn es ums Abräumen, Einlagern oder Verramschen letzter Habseligkeiten von Hartz IV-Empfängern geht, ist für die Arbeit der Lörracher Vollstreckungsbehörden eine große Arbeitserleichterung. Ca. 30 Zwangsräumungsverfahren muß das Amtsgericht Lörrach monatlich bewältigen, die glücklicherweise nicht immer in einem Worst-Case-Szenario enden. Doch für einen provinziellen Gerichtsbezirk mit gerade mal 160.000 Bewohnern sind 30 Fälle /Monat eine horrible Größe; dies bestätigt auch Justizsprecher Sönke Blunck, der für den kriminalpräventiven »Arbeitskreis Obdachlosigkeit« seit Januar 2009 eine Zwangsräumungs-Statistik führt. Fast immer handelt es sich bei den Herausgeworfenen um Privathaushalte vom Typ Hartz IV.

Leider deckt sich diese Zahl mit der Anzahl sogenannter »Mietsenkungsverfahren«, welche die Lörracher Grundsicherung einleitet, um Harz IV Bezieher zu einem unfreiwilligen Wohnungswechsel zu zwingen: »Ca. 10% der 300 Neuzugänge, die wir zur Zeit im Monat registrieren, sind davon betroffen«, so Bereichsleiter Hubert Dietrich (GAL).

Von der Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge wurde die dabei geübte Verfahrensweise bereits im März 2006 kritisiert: “Wir haben Erwerbslosenzentren und Mietervereine in 39 Städten und 3 Landkreisen zu den Aufforderungen zur Senkung der Kosten der Unterkunft befragt…. Auskünfte aus Lörrach (Südbaden), Moers und den Landkreisen in Schleswig-Holstein, Wendland und Ortenau weisen auf einen weitgehend rechtswidrigen und extremen Umgang mit der Handhabung des § 22 SGB II hin.” (2).

Das hier gegenständliche Desaster hat sich an der Frage entzündet, ob die Grundsicherung anteilige Kosten für die in der Wohnung untergebrachen Arbeitsräume eines selbstständigen Buchautors und Journalisten übernehmen muss. Nach bertelsmännisch inspirierten Anwendungsbestimmungen zu SGB II / Hartz IV ist dies nicht der Fall. Vielmehr sollen die ARGEN und Grundsicherungen die Leistungen der Hartz IV Bezieher so lange kürzen, bis deren Wohnungsvermieter, Energielieferanten und die Vollstreckungsbehörden die eigentliche Drecksarbeit (auf eigene Kosten!) erledigen und die Betroffenen auf der Strasse stehen. Dabei unterscheiden die ARGEN, wie das Polit-Magazin REPORT Mainz in einem Beitrag eindrucksvoll belegt, nicht zwischen Schriftstellern und Analphabeten (7).

Im Verkaufslokal der Firma F. gibt die Gerichtsvollzieherin ihr Debut als Flohmarktkassiererin. Sie zieht ihren Job kool durch, obwohl ihr Auftraggeber weder die Vollständigkeit des Verwertungsgutes noch sein gesetzliches Pfandrecht an Gegenständen aus dem Eigentum der (getrennt lebenden) Ehefrau nachweisen kann. Deren Antrag, den Pfandverkauf bis zur Klärung der Eigentumsverhältnisse per einstweiliger Anordnung zu untersagen, wurde vom Amtsgericht nicht fristgerecht bearbeitet. Dabei steht fest: Gerichtsvollzieher sind nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf verpflichtet, einen Auftrag zur Pfandverwertung als offenbar unzulässig abzulehen, wenn der Auftraggeber nicht hinreichend dartun kann, dass ihm an der betreffenden Sache ein Pfandrecht zusteht (Oberlandesgericht Düsseldorf, I-3 VA 2/08).

Doch getreu dem Bertelsmann-Motto, tue “Gutes” und lass andere dafür arbeiten (und bezahlen), schaffen sich Unternehmer und Behörden lästige Pendenzen am liebsten durch vollendete Tasachen vom Hals. “Kurzen Prozess machen”, nennt es die Juristensprache! Doch wie es weitergeht, und dass alle künftigen Kosten für Erstausstattungen und Wiederbeschaffungen für zwangsenteignete Hartz IV – Bezieher rücksichtslos auf den Steuerzahler abgewälzt werden, stört den Eifer der Flohmarktakteure nicht. Unser King heißt Trödel-King!

»Was kosten diese Bücher, 2 Euro?« Aber höchstens; für fünf kann man die ganze Kiste mitnehmen. Vielleicht handelt es sich um unersetzliche Belegexemplare, da spielt der Preis doch gar keine Rolle! Wichtig ist nur, dass möglichst viele Bücher auf diese Weise »verbrannt« werden. Möchten Sie noch einen Brief oder ein Foto als Lesezeichen dazu? Wer weiß, womöglich erscheint der Autor noch persönlich, um sich vom Veranstalter einen Gnadenerweis zu erwinseln – dann gibt es noch ein Autogramm dazu…

Doch dieser hat nach reiflicher Überlegung befunden, dass es klüger ist, ein unversichertes Haus von Brandstiftern niederbrennen zu lassen, als sich für ein Vergehen, das man nicht begangen hat, die Hand abhacken zu lassen. Was bleibt ist eine Mischung aus Ekel und Fassungslosigkeit, über die bodenlose Unterbietung von Anstand und Moral, die sich, ad majorem gloriam Dei, eine von Bertelsmann dirigierte Herrschaftselite und ihre beamtete Mitläuferschaft heutzutage leisten kann. (27.09.2009)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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