Eine Hartz IV Posse in drei Akten

Lesedauer 4 Minuten

TV-Kritik: Dreißig Jahre arbeitslos – Eine Hartz-IV Posse in drei Akten
von Joachim Weiss

10.05.2011

Hamburg-Irgendwo. So hat sich Arno Dübel (53) sein dreißigjähriges Dienstjubiläum als “Deutschlands glücklichster Langzeitarbeitsloser” nicht vorgestellt: Es ist später Vormittag. Dübel und eine Schar erwerbsloser Gratulanten sitzen im Wohnzimmer, um die ersten Bierbüchsen auf Kosten des Steuerzahlers knallen zu lassen, da macht es plötzlich Piep: Und kuck mal, wer da spricht: “Mitten aus dem Leben”, das grandiose Lifestyle-Format aus dem Hause Bertelsmann-RTL, blendet sich ein. Das RTL-Team, eine Art selbsternannte Sozialpolizei, ist darauf spezialisiert, "arbeitsscheue Elemente" wie Arno Dübel in flagranti bei asozialen Missetaten aufzuscheuchen.

Erster Akt: Müßiggang ist aller Laster Anfang…
Nun geht es Schlag auf Schlag: Tamara (47), Dübels fürsorgliche Schwester, hat kürzlich selbst ihren Job verloren und sich “sofort um eine Umschulung zur Altenpflegerin gekümmert”. Sie macht sich Sorgen um ihren Bruder, platzt unerwartet in die heitere Runde: “Ja Hallo, was ist den hier los?” Bierbüchsen? Luftschlangen? Tabakqualm? Dübel grinst. Für Doofe hängt ein Schild am Schrank: “30 Jahre arbeitslos!” Das kann nicht gut gehen. Die ehrenwerte Tamara ist entsetzt, beschwört die Faulenzer, lieber arbeiten zu gehen, statt Bier zu trinken! Das wirkt. Die Saufkumpane sind verstimmt, die Versammlung löst sich auf. Arno ist sauer auf Tamara. Spielverderberin!

Schocktherapie am Briefkasten
Doch wer sich zum Dienstjubiläum schämen sollte und sich stattdessen besäuft, den erwischt das Schicksal eiskalt am Briefkasten: Eine Tierklinik, die Arnos verstorbenen Lebensabschnitts-Hund “Rocky” verarztet hat, will 359,49 € pfänden. Arnos Bank protestiert und kündigt ihm das Konto. Dübel ahnt: Kein Konto? Keine Stütze! Was soll er nur tun? Richtig: Tamara muss ihm aus der Patsche helfen….

Die Schwester staunt nicht schlecht, als ihr Bruder, der sie gestern noch aus der Wohnung geworfen hat, vor der Tür steht. “Arno, du?” Genervt berichtet Arno was passiert ist. Die einfühlsame Tamara will helfen: “Also pass mal auf: Ich geb’ dir ‘nen Fuffi, besorge dir ‘nen Job und dafür malst du mir meine Decke im Flur…”. Dübel: Lacht dreckig. “Das ist doch nicht dein ernst jetzt…? Ne Tamara, Arbeit, das ist nichts für mich…”

Schnitt! Die RTL-Sozialpolizei beobachtet Arno Dübel auf dem Weg ins Jobcenter. Kommentar: “Ohne Konto kann das Arbeitsamt Arno Dübel kein Geld mehr überweisen, oder etwa doch?” Der “Müßiggänger” will seinen Ansprechpartner beim Arbeitsamt um Hilfe bitten. “Ich habe eine schlechte Nachricht, für Sie und für mich”, eröffnet Dübel das Gespräch; er spekuliert auf eine Barauszahlung.” – Und er bekommt sie.

Eine ganz miese Type…
Was das RTL-Team den Zuschauern damit sagen will, ist: Wir kennen uns aus im Dschungel der deutschen Sozialbehörden. Wir wissen, dass dort oft falsch geholfen wird. Wir legen den Finger auf die Wunde! Denn RTL und die Zuschauer wissen, was sich Faulenzerkönig Dübel nie eingestehen würde: Er ist nicht nur ein sozialer Totalversager, sondern auch eine ganz miese Type. Einer, der sich auf Kosten anderer einen schönen Tag macht, einer der “die Schwächen des Behördensystems” schamlos ausnutzt.

Zweiter Akt: Die Stunde der Wahrheit
Zuhause schlägt Dübels Euphorie sogleich in Wehmut um. Er sucht Trost; einsam und traurig entzündet er vor “Rockys” Hausalter eine Kerze. Wie soll das nur alles weitergehen?

Für RTL ist es jetzt höchste Zeit, die protestantischen Käsesocken auszubreiten, die im Hause Bertelsmann seit 175 Jahren ausreifen. “Tue Buße, Arno! Kehre um! Denk an “Rocky”!, moralhubert es zwischen den Zeilen. Tränengerührt betrachtet Dübel das Erinnerungsfoto von Rocky und seufzt, “was sollen wir bloß machen, Baby?”

Und so geschah es, dass Deutschlands glücklichster Arbeitsloser – wenige Tage nach seinem dreißigjährigen Dienstjubiläum – das Faulheitsgelübde brach. Die taffe Tamara hat ihrem Bruder einen Handlanger-Job in einem Blumengeschäft vermittelt. Arno muss zwei Tage auf Probe arbeiten; wenn er nicht durchhält, bekommt er keinen Lohn.

Lieber spät, als gar nicht
Erster Arbeitstag, das RTL-Team ist pünktlich zur Stelle. Drehbuchgemäß erscheint Arno Dübel eine Stunde zu spät bei Blumenhändlerin Marlis Groth (61). Kommentar: “Erst mal bin ich etwas spät aufgestanden, dann wusste ich nicht genau, wo das alles ist; erst wollt ich gar nicht kommen, aber – ich musste ja. Also: Lieber spät wie gar nicht…”. Frau Grothe, seit 39 Jahren im Geschäft, sieht das ganz anders: “Das Zuspätkommen ist natürlich nicht so schön, gerade wenn man irgendwo anfängt… dann ist Pünktlichkeit das oberste Gebot!” Kameraschwenk: Dübel, fegend vor dem Geschäft: “Also hier werd ich nicht alt, das weiß ich jetzt schon…”. Frau Grothe prüft mit strengem Blick, nicht alle Aufgaben wurden zufriedenstellend gelöst. Doch “kaum ist die Chefin außer Sicht, braucht das zarte Pflänzchen Arno dringend eine Pause – und eine Zigarette…”. Klar, dass ihn Frau Grothe dabei ertappt und streng ermahnt. Er ist schließlich zum Arbeiten hier. Das zieht! Am nächsten Tag erscheint Arno pünktlich zum Dienst. Das ihn begleitende RTL-Team kommentiert: “Ohne zu meckern macht sich der 53jährige an die Arbeit und trägt die Blumenkisten von A nach B – doch Chefin Groth traut dem Frieden nicht.” Sie hat keine Erfahrung mit Arbeitslosen, schon gar nicht mit so speziellen Fällen wie Arno Dübel, der nach jedem dritten Handgriff “Fertig!” schreit und keinen Funken Eigeninitiative an den Tag legt. “Kurz vor Feierabend scheint Arno dann doch zur Hochform aufzulaufen”, raunt die RTL-Sprecherin, “doch der Schein trügt!”

Ich will das so schnell wie möglich hinter mir bringen, meine Knete abholen, für die zwei Tage die ich hier geschuftet hab und mich aufgeopfert. Und dann geh ich nach Hause und dann sehen die mich nie wieder…!

Minuten später endet das Arbeitsexperiment, wie es enden musste. Frau Groth: “Na, wie hat es Ihnen denn bei uns gefallen?“ Dübel: “Ich bin wirklich froh, dass ich die zwei Tage hinter mir habe. Nun muss ich mich aber eine Woche ausruhen…“. Frau Groth ist ebenfalls erleichtert: “Ich hab das schon bemerkt, dass das nichts für Sie ist.” Arno Dübel erhält für die zwei Tage 100 Euro Lohn und macht sich frohen Mutes auf den Heimweg.

Dritter Akt: Happyend mit Fuffi und Wuffi
Zuhause erwartet ihn bereits Tamara, die sich eine tierische Überraschung für ihren faulen Bruder ausgedacht hat. Sie erhöht ihr Angebot um einen “Fuffi”, damit Arno “dran bleibt”. Und sie hat eine Überraschung aus dem Tierheim mitgebracht: Einen jungen Hund! Tamara: “Ist der nicht schick? Und den würde ich dir schenken, damit du abends, wenn du von der Arbeit kommt, nicht so alleine bist.” Arno ist fassungslos, er weint. Es sind Tränen des Glücks. “Er heißt Jacky” , sagt Tamara…

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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