Hartz IV: Ältere auf Abstellgleis

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Die Selektion von Menschen nach ökonomischer Verwertbarkeit wird nun offenbar Handlungsmaxime der Behörden der Arbeitsverwaltung. Wie aus einem internen Papier der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Köln hervorgeht, sollen künftig nur noch diejenigen Arbeitslosen umfassende Beratung und Betreuung erhalten, bei denen als »effizient« im Sinne einer möglichst raschen Vermittelbarkeit erachtet wird. Das jW vorliegende Papier zur »Optimierung von Geschäftsprozessen« stammt aus Unternehmensberatung Roland Berger.

Bereits ein anderes Gutachten war im April zu dem Schluß gekommen, daß die Bundesagentur für Arbeit (BA) durch die bevorzugte Betreuung von Kurzzeitarbeitslosen auf Kosten von Langzeitarbeitslosen Milliardenüberschüsse erzielt (jW berichtete). Das jetzt aufgetauchte Konzept konzentriert sich dagegen ganz auf die ALG-II-Empfänger im Verantwortungsbereich der Arbeitsgemeinschaften. Die Kölner ARGE gilt als Modellprojekt der BA und wurde im Auftrag der Nürnberger Behörde von der Firma Berger geprüft.

Laut Analyse des Unternehmensberaters werden bei der ARGE zu viele »Kunden« wegen Problemen bei Leistungsangelegenheiten vorstellig, wodurch es an einem einheitlichen Vorgehen und klaren Zielvorgaben fehle. Das Gegenrezept mit dem Titel »Arbeitsprogramm Bestandsaktivierung« fordert als entscheidende Maßnahme, die »Kunden« nach einheitlichen Kriterien zu »strukturieren und priorisieren«. Entsprechend sollen die Leistungsempfänger in vier »Kundengruppen« mit unterschiedlichen »Kontaktdichten« eingeteilt werden. Der häufigste Kontakt zum Fallmanager (alle drei Monate) soll Erwerbslosen zwischen 25 und 40 Jahren zuteil werden, danach folgen Menschen im Alter zwischen 40 und 55 Jahren (alle vier Monate). Schwerbehinderte und eine nicht weiter spezifizierte Gruppe »Sonstiger« sollen hingegen maximal zweimal pro Jahr in den Genuß einer Beratung kommen.

Es werde immer deutlicher, daß die Behörden der Arbeitsverwaltung den Sozialstaat zu einem »erfolgsorientierten, an marktwirtschaftlichen Kategorien ausgerichteten Wirtschaftssystem« umbauen wollten, erklärte Martin Behrsing vom Erwerbslosen Forum Deutschland (ELO) am Freitag gegenüber jW. »Alle als ineffizient angesehenen Menschen sollen rausfallen und auf das Abstellgleis geschoben werden«. Unter dem Stichwort »Treiber statt Getriebene« sollten »kundeninitierte Vorsprachen« – insbesondere bei Fragen der Leistungsgewährung – deutlich reduziert und durch einen neu gestalteten Eingangsbereich in den ARGEn sowie durch Telefonhotlines beim Fallmanagerr gar nicht mehr ankommen.

Laut Harald Thomé von der Wuppertaler Erwerbsloseninitiative Tacheles e.V. wird mit diesen Mitteln das Rausdrängen aus dem Leistungsbezug perfektioniert. »Wenn der Sachbearbeiter nicht erreichbar ist, aber die Wohnung sofort bewilligt werden muß, dann stellt das nicht nur einen Rechtsbruch der ARGE dar, sondern auch einen vorsätzlichen Leistungsbetrug«, sagte er im jW-Gespräch. Nach der Marschroute Roland Bergers schaffte es so zum Beispiel bereits die ARGE Gelsenkirchen, in vier Monaten 15 Prozent der unter 25jährigen Anspruchsberechtigten aus dem Leistungsbezug zu befördern.

Der Unternehmensberater und die Kölner ARGE wollen sich nicht zu dem Papier äußern. Bei der BA in Nürnberg hieß es gestern auf jW-Anfrage: »Das ist Sache der ARGE in Köln.« (aus JW, vom 14.10.06)

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