Heftige Proteste in Ungarn. Ein Erlebnisbericht

Seit ein Mitschnitt einer parteiinternen Rede, in denen der ungarische (sozialdemokratische) Ministerpräsident (und Millionär) Ferenc Gyurcsany zugibt: "In Europa hat man so eine Blödheit noch in keinem anderen Land gemacht, wie wir gemacht haben. Das kann man erklären. Wir haben offenbar die letzten eineinhalb, zwei Jahre durchgelogen.", an die Öffentlichkeit gelangte, finden seit Tagen Massenproteste und Unruhen statt. Am Sonntag gab es erste friedliche Proteste. Am Montag abend wurde nach einer Demonstration, an der sich 10.000 Menschen beteiligten, von 2000 Menschen der nationale Fernsehsender gestürmt. In der Innenstadt gab es Riots. Später kam es erneut zu Kämpfen zwischen Polizei und Demonstranten, als diese versuchten, in die Parteizentrale der Regierungpartei MSZP einzudringen. Mehr als 100 Polizisten wurden verletzt. Auch in den Folgetagen rissen die Proteste nicht ab.

An den Protesten sind so ziemlich alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt. Überwiegend normale Bürger, Arbeiter, "Ghettokids" bis hin zu Linken und Anarchisten, aber auch Rechte und Hooligans. Während an den Protesten in Budapest jeweils 10.000 bis 15.000 Menschen teilnahmen, wird die Zahl der Rechten in den Medien mit rund Hundert angegeben. Von ihnen soll Medienberichten zufolge die Gewalt ausgehen. Auch die konservative Partei von Victor Orban sieht die Gunst der Stunde und mobilisiert am Wochenende zu einer Großdemonstration, zu der er Hunderttausende erwartet. Doch die Unzufriedenheit sitzt nicht zuletzt wegen der sozialen Ungerechtigkeit tiefer.

Ferenc Gyurcsany erklärt derweil, daß er mit seinen Worten nur ausdrücken wollte, daß die Politik allgemein unehrlich sei und er das beenden wollte: "Ich wollte die Spirale der Lüge durchbrechen" erklärte er in Interviews und stellte seine umstrittene Rede auch in seinen Weblog. Neben den vielen Protestierern gibt es auch viel Unterstützung in der Bevölkerung, die ihn ehrlich finden.

Ein Erlebnisbericht:

Eine halbstündige Aufzeichnung
Eine halbstündige Aufzeichnung des vom Ex-Regime-Mitglied zum Geschäftsmann zum demokratischen Politiker gewandelten Ferenc Gyurcsany, Ministerpräident von Ungarn, wurde gut organiiert durch dutzende Medienanstalten an die Öffentlichkeit gebracht. Es war eine Rede währned einer internen Parteikonferenz über die jahrelangen Lügen für die Regierungspolitik und die Wahlen. Durch den Zustand der Wirtschaft, heftige Steuererhöhungen und Sozialabbau, die während der letzten Monate verkündet wurden, war die Stimmung gespannt. Teile der an die Öffentlichkeit gebrachten vertraulichen Rede ließ bei vielen Leuten die Sicherung durchbrennen. Friedliche Proteste begannen zunächst am Sonntag mit einigen hundert Teilnehmern.

Schlafender Zorn
Am Montag gingen die Proteste weiter und die Zahl der Teilnehmenden vervielfachte sich am frühen Abend auf 10.000+x. Ich war überrascht zu sehen, daß die Mehrheit der Teilnehmer nicht benachteiligte arme Leute, die am stärksten unter den ökonomischen Einschränkungen zu leiden haben, waren. Es waren Leute aus Mittelklasse-Familien, wie ich selbst und überwiegend im Alter zwischen 20 und 40. Es gab sehr viel Erregung und Zorn. Wenn wir nicht Parolen riefen oder den zahlreichen Reden von Leuten mit Lautsprechern zuhörten, sprachen wir frei mit Menschen, die wir das erste mal trafen. Genau wie ich erwartet hatte, waren die Meisten von uns jene, die nicht die Regierungskoaltion gewählt hatte. Doch es gab es auch eine kleinere Anzahl ihrer Wähler, die verbittert und angepisst waren, daß sie ihnen vertraut hatte. Wie man es hätte erwarten könnte, erschienen auch Freaks, Radikale und Extremisten. Ich würde schätzen, daß unter 500 Radikale/Extreme einschliesslich Hooligans dabei waren.

Irgendwann nach 22:00 Uhr hörten wir viel Geschrei, daß etwas Heftiges am Gebäude des nationalen Fernsehens, welches auch schon in den alten Tagen Hauptfernsehgebäude war, geschah. Das Fernsehgebäude ist wegen der Schlüsselrolle während der Revolution von 1956 ein historisch bedeutsamer Ort: die Revolution von 56 brauch aus, als das staatlich kontrollierte Fernsehen von den Menschen eingenommen wurde und mit Sendungen der rest des Landes mobilisiert wurde.

[Später wurde mir klar, daß anfänglich zwei Führer der Rechtsextremisten in die TV-Station eindrangen, um ihre politischen Forderungen zu senden: Ablehnung der Regierungspolitik und ihre Auflösung. Sie wurden zurückgewiesen und das Sicherheitspersonal versuchte sie festzunehmen, was eigentlich nicht geht, weil nur die Polizei Festnahmen vornehmen kann. Einer entkam knapp und die Dinge eskalierten dann schell, als die Hardcore-Rechtsradikalen zuammen mit einigen Hooligans versuchten mit Gewalt in das Gebäude einzudringen. Die Sicherheitsleute rief die Polizei, von denen ein Teil durch den Hintereingang ins Gebäude gelangte. Sicherheitsleute und Polizei verbarrikadierten den Eingang und setzten Tränengas und Feuerwehrschläuche ein, um die durchgedrehten Krawallmacher fernzuhalten. Es kamen dann einiger dieser Leute und riefen uns zum Fernsehgebäude, was wir promt taten, weil dieser Ort historisch bedeutsam ist…]

Als wir am Fernsehgebäude ankamen, sah ich Riotpolizei und gepanzerte Fahrzeuge mit Wasserwerfern, die versuchten die Randalierer und Protestierer auseinanderzutreiben.

Ich muss ehrlich sagen, daß die reaktion der Polizei sehr provokativ war, als sie damit begannen, gegen uns alle Tränengas einzusetzen – gegen die offensichtlich nicht aggressiven und abgesonderten Protestierer, genau wie gegen die offensichtlichen Extremisten, die den Eingang des Gebäudes attackierten.

Das Fernsehgebäude
Kurz nach meiner Ankunft und dem Tränengas kam der Angriff der Riotpolizei. Es waren jetzt etwa 5000 und die Polizei schüttete Tränengas und Wasserwerfer regelrecht über die Demonstranten. Es waren außerdem 500 bis 600 Riotpolizisten mit Schutzausrüstung und Plasteschilden dort, um uns zu zerstreuen.
Aber am Platz vor dem Fernsehgebäude waren diese 6cmx6cm großen Granitwürfel, die den größten Teil des Bodens bedeckten, als Dekoration….

Der Wasserwerfer
Die Riotpolizei hatte die Idee, in die Masse der Protestierenden mit einem Wasserwerfer und 600 Polizisten einen Keil zu schlagen und uns dann zu zerstreuen.

Das Fernsehgebäude, Teil 2
Die insgesamt vielleicht 120 bis 150 extremistischen Randalierer besiegten schliesslich die etwas mehr als 30 Polizisten und Sicherheitsleute, die mit Tränengas und Feuerwehrschläuchen die Barrikaden hielten. Die Barrikade wurde niedergerissen und vom Metalldetektor und anderen festen Materialien hatten die Leute drinnen Teile in der Hand.

Als die Barrikade niedergerissen wurde, sah ich nur einen kleinen Teil der Extremisten wirklich eintreten. Die blieben aus irgendeinem Grund lieber draussen. Aber es wahren mehrere hundert Menschen, die ins Gebäude eindrangen.

Dienstag
Die Polzei ging am Dienstag wesentlich härter gegen die Demontranten vor und die Ausschreitungen waren wesentlich härter. Die Behörden geben 50 Verletzte Demonstranten an und sprechen von 1000 "Gewalttättern". Der Oberbürgermeister von Budapest Demszky bezeichnete diejenigen, die sich an den Aueinandersetzungen beteiligt hatten als "Vandalen und gemeine Straftäter".

Der Ministerpräsident will weitere Demonstrationen verbieten.

(Quellen z.T. aus Indymedia Network Ungarn)

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