Hartz IV – Schulkosten vom Essen absparen?

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Hartz IV und Schulkosten
Alle Welt redet von Kinderarmut – die CDU/SPDBundesregierung bestreitet sie. Noch im Juli 2007 meinte sie: „Die Regelleistung bildet das soziokulturelle Existenzminimum ab und umfasst auch die Ausgabe für die Nutzung von Verkehrsdienstleistungen im Schienen- und Straßenverkehr, Nahrungsmittel sowie Schulmaterial.“ ⊃1; Kinder aus Hartz IV-Familien bekommen also genug.

Die Kosten für Hefte, Stifte, Rechner, Arbeitsblätter, Blöcke, Malkästen, Federmäppchen, Umschläge, Schulranzen, Fahrtkosten zur Schule, Eintrittsgelder bei eintägigen Ausflügen, Materialbeiträge, Schulbücher usw. sollen, so weit sie anfallen, in vollem Umfang im Regelsatz von Schulkindern enthalten sein. Wirklich?

Schulkosten sind nicht im Hartz IV Regelsatz enthalten!
Nehmen wir als Beispiel die 13-jährige Yvonne, deren Eltern Hartz IV beziehen. Vor Hartz IV bekamen Sozialhilfe beziehende Schulkinder bis 14 Jahren im Schnitt 232 Euro mtl. für Regelsatz und einmalige Beihilfen.⊃2; In diesem Betrag waren die anerkannten Schulkosten tatsächlich enthalten. Heute bekommt "Yvonne" nur noch 208 Euro, also 24 Euro weniger. Schulkosten sind also aus dem neuen ALG II Regelsatz herausgestrichen worden.

Vor Hartz IV bekam "Yvonne" 53 Euro mehr als ein Säugling, mit Hartz IV nur noch genau so viel. Gerade so, als ob sie nicht zu Schule gehen würde. Neugeborenen wird immerhin noch eine Erstausstattung zugestanden. Schulkindern dagegen wird die „Erstausstattung“ bei Schuleintritt verweigert. Der Bedarf von Yvonne wird mit dem eines Kleinkinds gleichgesetzt, obwohl 13-Jährige mit 2.450 Kilokalorien einen wachstumsbedingt höheren Energiebedarf als einjährige Kinder haben (950 kcal). Die im Regelsatz eines Schulkindes enthaltenen Bedarfe betragen 60% der im Regelsatz von Alleinstehenden enthaltenen anerkannten Verbrauchsausgaben in Höhe von zur Zeit 347 Euro. Erwachsene haben keine Schulkosten. 60% von 0 Euro Schulkosten sind laut "Adam Riese" 0 Euro. Also werden auch bei Kindern Schulkosten nicht anerkannt.

Im ALG II Regelsatz von Yvonne sind 1,63 Euro für Schreibwaren enthalten. Nehmen wir an, dieser für private Zwecke gedachte Bedarf könnte in Schulkosten umgewandelt werden. Mit rund 20 Euro jährlich müsste sie dann die gesamten Schulkosten eines Jahres decken. Das ist nicht möglich. Um Einschulungskosten von z.B. 150 Euro anzusparen, müssten Eltern schon vor der Zeugung ihres Kindes anfangen, 1,63 Euro mtl. zurückzulegen.

Das alles kümmert Merkel, Beck und von der Leyen nicht. Trotz aller Kürzungen behaupten sie: Der Bedarf ist abschließend gedeckt. (siehe oben) Schulkinder aus Hartz IV-Familien müssen Schulkosten unter anderem von der Ernährung absparen. Mit den dafür vorgesehenen 2,28 Euro pro Tag ist aber ohnehin keine gesunde Ernährung möglich. Dafür würden Schulkinder bis 14 mindestens 4,61 Euro brauchen.⊃3;

Welche Möglichkeiten gibt es?
Da das Gesetz die Bedürfnisse von Yvonne nicht anerkennt, könnten ihre Eltern Geldgeber in der Verwandtschaft suchen. Das aber würde als Missbrauch verfolgt werden können, da anzurechnendes Einkommen nicht angegeben wird. Die Kosten könnten im Einzelfall aus privaten Spenden gedeckt werden. Yvonnes Eltern könnten einen Antrag bei der Arbeitsagentur stellen. Diese zahlt aber allenfalls ein Darlehen, das in den Folgemonaten wieder zurückgezahlt werden muss. Im Einzelfall kann auf die Tilgung verzichtet werden. Yvonnes Eltern könnten beantragen, dass Schulkosten als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben vom Einkommen (dem Kindergeld) abgesetzt werden können.4 Das wird bisher abgelehnt. "Yvonnes" Eltern könnten einen Antrag bei einem kommunalen Schulfonds stellen. Solche Fonds gibt es aber bisher nur in einem Dutzend der rund 450 kreisfreien Städte und Landkreise. München z.B. zahlt 100 Euro bei der Einschulung. Kommunen wie Oldenburg zahlen Lehr- und Lernmaterialien pro Schuljahr. Frankfurt jedoch zahlt nichts!

Nachtrag (08.12.07): In einigen Gemeinden wurde nun eine Schulkostenbeihilfe eingeführt. Lesen Sie dazu: Hartz IV Schulkostenbeihilfe in 28 Städten und Gemeinden

Das alles ist völlig unbefriedigend.
Für die rd. 20% der Schulkinder in Deutschland, die von Hartz IV leben (in Frankfurt rund ein Viertel) muss eine bessere Lösung gefunden werden. Das SGB II (Hartz IV) muss geändert werden. Lehrund Lernmittel sowie sonstige mit dem Schulbesuch entstehende Aufwendungen einschließlich der Fahrtkosten müssen wieder als einmalige Beihilfe übernommen werden können.

Solange das nicht der Fall ist, muss auch in Frankfurt ein kommunaler Schulfonds eingerichtet werden. „Die Bundesregierung stellt die Förderung und Unterstützung von Kindern und deren Familien in den Mittelpunkt
ihres Handelns. Alle Kinder und Jugendlichen sollen von Anfang an gleiche Chancen haben, ihre vielfältigen
Fähigkeiten und Talente zu entwickeln.“
5 Wie ist das möglich, wenn man weder die Schulkosten noch den Wachstumsbedaf von Kindern aus Familien anerkennt, die in Armut leben?

Anhang

1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 02.07.2007, Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Diana Golze u.a. und der Fraktion DIE LINKE betreff end „Sicherung des Kindesbedarfs und des Existenzminimums für Schulkinder“. BT-Drs. 16/5699;

2 193 Euro Regelsatz plus 20% des Regelsatzes für Einmalige Beihilfen; vgl. Roth/Thomé, Leitfaden Alg II/ Sozialhilfe von A-Z, Frankfurt 2006, 236;

3 errechnet nach: Mathilde Kersting, Kerstin Clausen, Wie teuer ist eine gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche, Ernährungs-Umschau 9/2007, 508-513;

4 http://www.tacheles-sozialhilfe.de

5 .de/bmfs /generator/Politikbereiche/kinder-und-jugend

(23.11.07, Gesamtelternbeirat der städtischen Kindertages – stätten- und krippen- Download des Flugblattes)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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