Experimentierkasten Hartz IV

Lesedauer 7 Minuten

Experimentierkasten Hartz IV Ein-Euro-Jobs gleich Zwangsarbeit!?
von Michael Schumacher
Dieser Beitrag baut auf dem Beitrag „Experiments in Terror“ auf, welcher zur Vorab Lektüre empfohlen wird.

Grundfrage
Bedeutet die Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs unter der Androhung von Sanktionen Zwangsarbeit?! Diese Frage wird oft und heiß diskutiert. Nach der absolut herrschenden Meinung handelt es sich nicht um Zwangsarbeit. Aber was ist die herrschende Meinung?
Muss man der herrschenden Meinung zustimmen oder gar folgen? Da die Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs in der Regel nicht freiwillig geschieht, wenn gleich es auch diese Fälle gibt, soll hier eine andere Sichtweise dargestellt werden.

Gegen bestehendes Unrecht kann und sollte man seine Stimme erheben! Eine Sanktion, als Folge der Ablehnung eines Ein-Euro-Jobs, hätte die dargestellte Kürzung des gesamten Arbeitslosengeldes II um 30 % für die Dauer von 3 Monaten zur Folge. Hierbei handelt es sich um eine un-mittelbare Bedrohung der Existenz des Arbeitslosen.

Die Ba hat 2005 in ihren „Durchführungshinweisen zu § 16 Abs. 3 SGB II im sozialen Dienstleistungssektor“ dargelegt, dass sowohl eine positive Grundeinstellung, als auch eine entsprechende Motivation des Hilfebedürftigen erforderlich sind. Hinsichtlich seiner Wünsche und Kompetenzen soll, gemeinsam mit dem Arbeitsvermittler, ein passender Ein-Euro-Job gefunden werden. Dieser sollte die un-mittelbare Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt in Aussicht stellen. Der Beschäftigungsträger seinerseits, sollte darauf hinwirken und darauf einen Einfluss haben, einen für die Stelle geeigneten Hilfebedürftigen zu finden. [Quelle: Recht und Praxis der Ein-Euro-Jobs 2006 Hofmann S.171-172].

Diese Durchführungshinweise sollten eigentlich für alle Ein-Euro-Jobber gelten, denn nur mit einem Konsens geschlossen könnten Ein-Euro-Jobs die Hilfebedürftigkeit verringern bzw. ganz aufheben. Bei einer Eingliederungsquote der Ein-Euro-Jobs von lediglich 2 bis 7 % ist dies nicht zu erwarten und man kann dieses System als gescheitert ansehen.

[Quelle: IAB Forschungsbericht 2/2007]
Dies ist besonders bedenklich, denn:

Ein-Euro-Jobs sind die am häufigsten angewandte Arbeitsmarktpolitische Maßnahme. Von 2005 bis Juli 2007 mussten 1,87 Millionen Arbeitslose ihren Dienst als Ein-Euro-Jobber antreten. Ein-Euro-Jobs verursachen auch die meisten Kosten der Arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. In 2006 allein wurden 1,12 Milliarden Euro für Ein-Euro-Jobs ausgegeben. (jeweils ohne die Zahlen der 69 optierenden Kommunen). [Quellen: BA Förderstatistik: Arbeitsgelegenheiten, April 2007 und: BA Monatsbericht: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland, Juli 2007]

Aktuelle Gesetzeslage
Die Praxis, den Arbeitslosen unter der Androhung einer Sanktion zur der Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs zu zwingen, verstößt gegen nationale und internationale Gesetze.

Deutsches Recht:
Nach Art. 12.1 GG haben alle Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Freiheit bedeutet, über Art und Weise der beruflichen Tätigkeit selbst zu entscheiden. Dieses Recht wird hier beschnitten. Eine freie Wahl und eine freie Entscheidung sehen anders aus!

Art. 12.2 GG besagt, dass Zwangsarbeit nur zulässig im Rahmen einer herkömmlichen, allgemeinen, für alle gleichen und öffentlichen Dienstpflicht ist. Hierzu zählen die Wehrpflicht und der Zivildienst. Nach Art. 12.3 GG ist Zwangsarbeit auch bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe möglich. Ein-Euro-Jobs fallen aber unter keine dieser Kategorien.

Weiterhin richtet sich Art. 12 GG gegen unzulässige Staatseingriffe in die Wirtschaftsordnung. Er verbietet die Errichtung einer sozialistischen Planwirtschaft, ohne freie Arbeitsplatzwahl. [Quelle: Grundgesetz mit Kommentierung, Peter Schade, Walhalla, 2006, S. 55] Wenn bei dem System der Ein-Euro-Jobs natürlich nicht von einer sozialistischen Planwirtschaft die Rede sein kann, so hat die Bundesregierung mit den Maßnahmen nach § 16 Abs. 3 SGB II dennoch einen Sonderarbeitsmarkt geschaffen, der losgelöst von der deutschen Wirtschaft funktioniert. Dieser Sonderarbeitsmarkt hat weit reichende Auswirkungen auf den 1. Arbeitsmarkt und so auch auf die freie (soziale) Marktwirtschaft, die indirekt von Art. 12 GG gefordert wird. Die freie (soziale) Marktwirtschaft wird hier in Teilen außer Kraft gesetzt.

Ein-Euro-Jobber werden nicht als Arbeitnehmer angesehen und so in ihren Arbeitnehmerrechten beschnitten, da sie keinen Arbeitsvertrag, stattdessen nur eine Vereinbarung mit einem Maßnahmeträger haben. Da die Ein-Euro-Jobber in vielen Fällen reguläre Stellen besetzen, werden so sozialversicherungspflichtige Stellen abgebaut bzw. nicht mit entsprechenden Arbeitskräften besetzt.

Die Bezahlung erfolgt nicht nach Leistung.
Die Bezahlung erfolgt nicht nach Arbeitsergebnis.
Die Bezahlung ist für alle gleich.

§ 16 Abs. 3 SGB II untergräbt die prinzipielle verfassungsrechtliche Forderung, eine dem Arbeitsergebnis entsprechende Entlohnung zu zahlen. Hier gibt es aber keinen Lohn, sondern eine von der Arbeits-Leistung unabhängige, für alle Ein-Euro-Jobber gleich hohe, Maßnahmekostenaufwandsentschädigung. Dies stellt nicht nur den Wert und Sinn der Arbeit in Frage, sondern vor allem die Existenz des Arbeitslosen als solchem. [Quelle: Recht und Praxis der Ein-Euro-Jobs 2006 Hofmann S.380].

Diese Praxis verstößt auch gegen Art. 1 GG wonach die Würde des Menschen unantastbar ist. Der Staat muss den Bürger vor Angriffen auf seine Würde beschützen. Hier sind es aber gerade, von der Bundesregierung beschlossen Gesetze (§ 16 Abs. 3 und § 31 SGB II), die die Würde der Arbeitslosen verletzen.

Jeder Bürger hat nach Art. 2 GG das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Dem Arbeitslosen wird aber gar keine Persönlichkeit zuerkannt, er wird seiner Individualität beraubt und zum bloßen Objekt gemacht! Von individueller Betreuung kann hier keine Rede sein, stattdessen werden bestimmte, meist so genannte schwer vermittelbare, Arbeitslose, zu einer „Gruppe“ zusammengefasst und gleich geschaltet. Vornehmlich Mitglieder dieser „Gruppe“ werden zu Ein-Euro-Jobs herangezogen. Das Verfassungsgebot, „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), soll die Bürger vor unnötigen, staatlichen Eingriffen schützen.

Geeignetheit: Von dieser Maßnahme ist fast kein Erfolg zu erwarten, da die un- mittelbare Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt gerade mal bei 2 bis 7 % liegt, also praktisch nicht vorhanden ist.

Angemessenheit: Bei den dargestellten Verletzungen der Menschenwürde und den Eingriffen in die Persönlichkeit der Arbeitslosen durch Ein-Euro-Jobs handelt es sich keinesfalls um zumutbare Maßnahmen. Ein-Euro-Jobs sind weder zur Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt geeignet, noch stellen sie ein angemessenes Mittel dar. Ein-Euro-Jobber werden während ihrer 6 Monate dauernden Zwangsarbeit:

– in ihrem freien Willen eingeschränkt
– in ihren Grundrechten nach Art. 1, 2, 12 GG beschnitten.

Internationales Recht:
Die gängige Praxis, Arbeitslose unter der Androhung von Sanktionen zur Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs zu zwingen, verstößt auch gegen internationales Recht.

Das Übereinkommen über Zwangs- und Pflichtarbeit (C029) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) 1930 verbietet Zwangsarbeit. Es wurde am 19/06/1956 von der BRD ratifiziert. Ein-Euro-Jobs verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1.

Artikel 2 Abs. 1
Als „Zwangs- oder Pflichtarbeit” im Sinne dieses Übereinkommens gilt jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat. Bei der Androhung einer Sanktion, bei der Verweigerung der Aufnahme eines Euro-Euro-Jobs, kann man nicht von Freiwilligkeit sprechen. Eine freie Wahl sieht anders aus. Hier handelt es sich um eine Strafe i.S. des ILO-Übereinkommens die bei Ungehorsam vollstreckt wird. Der Arbeitslose soll sich fügen und gehorsam zeigen, ansonsten wird seine minimale Grundsicherung für die Dauer von 3 Monaten um 30 % gekürzt. Dies bedeutet eine un-mittelbare Bedrohung seiner Existenz.

Arbeitsvermittler verstoßen bei der gängigen Praxis, Arbeitslose unter Androhung von Sanktionen zur Aufnahme eines Ein-Euro-Jobs zu zwingen, gegen Art. 6 des Übereinkommens über Zwangs- und Pflichtarbeit (C029) der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Artikel 6 Beamte der Verwaltung dürfen, auch wenn es ihre Aufgabe ist, die ihrer Verantwortung unterstellte Bevölkerung zur Annahme von Arbeit irgendeiner Form zu ermuntern, weder auf die Gesamtbevölkerung noch auf einzelne Personen einen Druck ausüben, um sie zur Arbeitsleistung für Einzelpersonen oder private Gesellschaften und Vereinigungen zu veranlassen.
Dies wäre auch Teil der angestrebten partnerschaftlichen Beziehung von Arbeitsvermittlern und Arbeitslosen. Die Androhung einer Sanktion ist weitaus mehr als Druck aus zu üben, diese ist Existenz bedrohend. Die Ein-Euro-Jobs werden den Arbeitslosen von den Arbeitsvermittlern zwar „angeboten“, wie es so schön heißt, bei einem Angebot hat man aber die Wahl es an zu nehmen oder es ab zu lehnen. Diese konkrete Wahl ist hier aber nicht gegeben.

Empfinden des Arbeitslosen
Unabhängig von nationalen und internationalen Recht, ist der Arbeitslose emotional unmittelbar betroffen. Für den Arbeitslosen zählen weniger die Gesetze, wenn er diese überhaupt kennt. Für den Arbeitslosen zählt sein persönliches Rechts- und Unrechtsempfinden.

Er ist ein Mensch!
So möchte er auch wahrgenommen werden.
Als Mensch!
So möchte er auch behandelt werden.
Als Mensch!

Er sieht sich nun ausschließlich als Akte, die hin und her geschoben werden kann. Für 6 Monate verdammt zur Zwangsarbeit.
Wie soll man ihm verständlich machen, dass er eine Arbeit aufnehmen soll, ohne sein Einverständnis?
Wie soll man ihm verständlich machen, dass er arbeiten muss, ohne dafür Lohn zu bekommen? Das widerspricht jeglichem gesundem Menschenverstand. Dies wird durch die Perspektivlosigkeit der Ein-Euro-Jobs noch verschlimmert. Dessen sind sich viele Arbeitslose durchaus bewusst.

Für sie ist das selbstverständlich-
Unrecht.

Für sie ist das selbstverständlich-
Zwang.

Für sie ist das selbstverständlich-
Zwangsarbeit.

6 Monate,
„Aus den Augen, aus dem Sinn.“
Der folgende, etwas abgewandelte Liedtext, spiegelt die prekäre Lage der Ein-Euro-Jobber treffend wieder:

Kleiner König Ein-Euro-Jobber

Die ARGE legt ne Falle
Das wird das Beste sein
Denn der dumme Arbeitslose
Fällt ganz bestimmt hinein

Und ist er erstmal drin
Dann lassen sie ihn erst nach 6 Monaten raus
Der kleine Ein-Euro-Jobber
Hockt in der Falle, wie eine arme Maus
Frei nach:Augsburger Puppenkiste, „Kleiner König Kalle Wirsch“, 1970, Text: M. Jenning

Zur Klage von Thomas Meese
Der Soziologe Thomas Meese war 10 Monate bei der Universität Hamburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. In der Zeit vom 24/08/2005 bis zum 23/06/2006 führte er, hoch qualifizierte, wissenschaftliche Arbeiten aus. Dies geschah aber nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, sondern in einer Maßnahme nach § 16 Abs. 3 SGB II.
Er begab sich in diesen Ein-Euro-Job nur unter strukturellem Zwang, da er bei der Verweigerung mit einer, seine materielle Existenz bedrohende, Sanktion hätte rechnen müssen. Die Beschäftigung Arbeitsloser als Ein-Euro-Wissenschaftler war an der Universität Hamburg kein Einzelfall.

Wie Thomas Meese ausführlich auf der Website: www.forced-labour.de darlegt, verstoßen auch seiner Meinung nach, Ein-Euro-Jobs gegen nationales und internationales Recht zum Verbot der Zwangsarbeit. Um das ihm und vielen anderen Arbeitslosen widerfahrene Unrecht und Leid entsprechend zu verdeutlichen erinnert er daran, dass über 7 Millionen Zwangsarbeitern die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten in und für Deutschland Zwangsarbeit verrichten mussten. Gerade Deutschland mit seiner dunklen Vergangenheit hat hier eine besondere Verantwortung. Eine Verantwortung der Rechnung getragen werden muss, auch und gerade heute noch und die von der jetzigen Generation nicht vergessen werden darf.

Hier setzt er weder das Schicksal der damaligen Zwangsarbeiter mit dem der Ein-Euro-Jobber gleich noch will er die damaligen Zwangsarbeiter auch nicht verunglimpfen, wie es ihm die Universität Hamburg vorwirft. [http://www.forced-labour.de/wp-content/uploads/2007/02/2007-01-16_uni_hamburg_rueck_rueckweisung.pdf]

Es geht hier nicht um die Art und die Härte der Zwangsarbeit.
Es geht hier nicht um die Mittel des Zwangs.

Ohne Zweifel war die Lage der über 7 Millionen Zwangsarbeiter entsetzlicher und sie waren unmittelbar vom Tode bedroht.
Die Ein-Euro-Jobber sind „lediglich“ un-mittelbar in ihrer Existenz bedroht, aber auch ihres freien Willens beraubt.
Entscheidend ist aber die Tatsache, dass damals wie heute die Arbeit nicht freiwillig aufgenommen wurde, sondern ausschließlich unter Zwang. Bei dem von Meese angestrebten Musterprozess verklagt er die Universität Hamburg auf Schadenersatz.

Schadenersatz für den ihm, seiner Ansicht nach, vorenthaltenden Lohn.
Vorenthaltenen Lohn für seine geleistete Arbeit.

Der Lohn soll entsprechend der Leistung gezahlt werden.
Der Lohn soll entsprechend des Arbeitsergebnisses gezahlt werden.

Messe sieht sich als eine, in seinen Arbeits- Rechten beschnittene, arbeitnehmerähnliche Person. Deshalb strebt er auch eine Klage vor dem Arbeitsgericht an. Die Zulassung wurde ihm allerdings bisher verwehrt und er wurde an die Sozialgerichte verwiesen. Nach geltender Rechtssprechung sind für Ein-Euro-Jobs die Sozialgerichte und nicht die Arbeitsgerichte zuständig, da es sich nicht um Arbeitsverhältnisse, sondern um Beschäftigungsverhältnisse handelt. Dies geschieht ausschließlich durch geschickte Definition der Maßnahmen nach § 16 Abs. 3 SGB II, welche Arbeit zu Beschäftigung deklariert.

Wenn die Klage von Herrn Meese vor dem Arbeitsgericht zugelassen werden würde, bekäme die, als Beschäftigung ohne Lohn, abgewertete Arbeit, wieder ihren entsprechenden Namen und Wert.

Das Rechtsverhältnis des Ein-Euro-Jobbers würde in ein völlig anderes Licht gestellt. Dies hätte bundesweite Auswirkungen. Dies würde § 16 Abs. 3 SGB II und den gesamten Sonderarbeitsmarkt der Ein-Euro-Jobs in Frage stellen.

Für die Zulassung der Klage vor dem Arbeitsgericht, bedarf es aber eines „couragierten“ Richters. Ein „couragier

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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