Hartz IV Plattform unternimmt Klage für mehr ALG

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Klage für mehr Hartz IV

Hartz4-Plattform fordert 329,22 € Erhöhung des Hartz IV-Regelsatzes mit Sozialgerichts-Klage

Klägerin Brigitte Vallenthin, Vorsitzende des Wiesbadener Arbeitslosen-Vereins reichte heute erste bundesweite Grundsatzklage gegen zu geringen Regelsatz beim Sozialgericht Wiesbaden ein

Mit der – heute beim Wiesbadener Sozialgericht eingereichten -ersten bundesweiten Klage seit Einführung der Hartz-Gesetze wendet sich die Hartz 4-Plattform Wiesbaden gegen den für ein menschenwürdiges Leben bei weitem zu niedrigen „Regelsatz“ von 345 €.

Die Klägerin, Hartz 4 -Plattform-Vorsitzende Brigitte Vallenthin fordert eine Erhöhung um 329,22 € und eine rechtliche Überprüfung durch die Sozialrichter, inwieweit der abstrakte Regelsatz gegenüber dem in der Klage umfangreich dokumentierten tatsächlich konkret marktverfügbaren Mindestbedarf unzureichend abweicht. Die Klage stellt die ausschließlich politisch-statistische Festlegung der nicht am tatsächlichen Bedarf orientierten 345 € in Frage und fordert das Gericht auf, hierüber eine rechtliche Bewertung vor allem vor dem Hintergrund des Grundgesetzes vorzunehmen.

Ziel der Klage ist, am Ende des Rechtsweges eine grundsätzliche Entscheidung der höchsten deutschen Sozialrichter beim Bundessozialgericht in Kassel über diese Fragen herbei zu führen. Gleichzeitig wartet die Hartz4-Plattform gespannt auf die ersten Signale und rechtlichen Bewertungen der erstinstanzlichen Wiesbadener Richter und hofft, dass diese das existenzielle Anliegen auf einen guten Weg bringen.

Die Klage ist nicht zuletzt auch ein Appell an die Politik, Ihre pauschale Behauptung zu überprüfen, dass 345 € – obwohl sie weit unter dem pfändungsfreien gesetzlichen Existenzminimum liegen – zum Leben in Menschenwürde, körperlicher und seelischer Gesundheit sowie ohne soziale und kulturelle Ausgrenzung ausreichend seien.

Heute eingereichte Klage setzt auf richterliche Bewertung der „tatsächlich konkret markt-verfügbaren“ Kostensituation anstelle des „abstrakten Regelsatzes“ – und baut auf der analogen Entscheidung des Bundessozialgerichts zu den Kosten der Unterkunft auf

Brigitte Vallenthin, die Vorsitzende der Hartz4-Plattform, ist optimistisch, dass Ihre heute beim Wiesbadener Sozialgericht eingereichte Musterklage für eine Erhöhung des Hartz4-Regelsatzes um 329,22 € spätestens nach dem Instanzenweg beim Bundessozialgericht für Millionen unter Hartz IV-Existenznöten leidende Menschen in Deutschland zu einem Erfolg führen wird.

Zwar hat das Bundessozialgericht in einer Entscheidung aus dem Jahre 2006 den 345 €-Regelsatz für ausreichend befunden, was jedoch lediglich auf einer rechtlichen Bewertung des „abstrakt“ festgelegten Regelsatzes geschah, da der Kläger in anderem Klage-Zusammenhang nur pauschal und ohne begründende Beweismittel den Regelsatz allgemein für unzureichend erklärt hatte. Die heute von Vallenthin eingereichte Klage ist jedoch im Unterschied dazu die erste, die bei den Gerichten eine rechtliche Bewertung der „tatsächlichen, konkreten markt-verfügbaren“ Kostensituation beantragt.

Für die Beweismittel hat die Hartz4-Plattform umfangreiche Recherchen angestellt und dem Gericht für sämtliche 10 Abteilungen des Regelsatzes Einkaufsnachweise aus den aktuell niedrigst verfügbaren Einkaufsquellen vorgelegt. Dabei stellt sich heraus, dass in keinem Bereich eine finanzielle Deckung für geringste Überlebensbedarfe durch den Regelsatz gewährleistet ist.

Am schwerwiegendsten ist die Unterversorgung im Bereich „Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren, alkoholische Getränke“. Anstelle der im Regelsatz als „bedarfsorientiert“ festgelegten 132,71 € ermittelte die Arbeitslosen-Initiative nach Discounter-Preisen und sehr bescheidenen Mahlzeiten einen Mindestbedarf von 260,47 €, d.h. einen Mehrbedarf von 128,46 € im Monat. Dabei werden kleine Freuden wie 1 Flasche Wein pro Monat oder 1 Flasche Bier pro Woche mit 0,17 € bzw. 0,07 € am untersten Tagessatz-Limit budgetiert.

An zweiter Stelle folgt die Regelsatz-Abteilung „Nachrichtenübermittlung einschließlich Telefon/Handy, Fax, Internet“. In diesem Bereich liegen – vor allem auch wegen der geringen Mobilitätsmöglichkeiten – häufig die einzigen sozialen und kulturellen Kontakte von Hartz IV-Betroffenen. Sodass sie nur mit einer ausreichenden Ausstattung überhaupt noch an Gesellschaft und Leben teilhaben können. Der Mehrbedarf gegenüber den 22,37 € des Regelsatzes liegt hier bei 54,82 €.

Es folgt an dritter Stelle der Bereich „Verkehr einschließlich Zubehör und Reparatur von Auto/Fahrrad, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel“. Hier sieht der Regelsatz 19,20 € vor. Selbst eine vergünstigte „Sozial-Monatskarte“ für die Busse in Wiesbaden kostet bereits 43,90 € und übersteigt damit bereits den Regelsatz um 24,70 €. Der gesamte Mehrbedarf in diesem Bereich beträgt 37,20 €.

Ein besonders dramatisches soziales, kulturelles, bildungsorientiertes wie auch gesundheitliches Ausgrenzungspotenzial birgt auch der an vierter Stelle folgende Bereich „Freizeit, Sport, Unterhaltung, Kultur“, der als absurder Gemischtwarenladen ebenfalls die Bereiche „Gartenpflege und Schnittblumen“ sowie „Zeitungen, Zeitschriften und Bücher“ einschließt. Hierfür sieht der Regelsatz 39,48 € vor, benötigt werden aber mindestens 66,99 €, also ein Mehrbedarf von
27,51 €.

Die Missachtung der Menschenwürde von Hartz IV-Berechtigten durch die Politik wird überdeutlich in den gänzlich fehlenden Regelsatzleistungen für „Familienfeste und kirchliche Feiertage“. Dem Null-€-Ansatz der Gesetzgebung stellt die Klage von Brigitte Vallenthin einen Mindestbedarf von monatlich 25,43 € gegenüber. Diese basieren auf bescheidenen Budget-Ansätzen wie einem Weihnachtsbaum für 25 € und häuslicher Festtags-Gästebewirtung von 50 € unter der Annahme von 6 Gästen oder einem Oster-Strauß und Ostereiern für 20 €. (10.07.07)

Ist das Bürgergeld besser als Hartz IV?

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